Forschungsgespräch 02

Inhalt

Einleitung

1. Offene Wahrnehmung in alle Richtungen

2. Entscheidungen

3. Verbindung zu den Bewegungen am Instrument

 

Einleitung

Datum: 02.10.2011

Persönlicher Kontakt zur Gesprächspartnerin

Ich kenne GP 2 seit  1992. Wir haben uns während der Feldenkrais-Ausbildung kennen gelernt. Nach Abschluss der Ausbildung hatten wir gar keinen Kontakt mehr. Im April 2011 habe ich auf einem Improvisationstag in der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien GP 2 wieder getroffen. Wir hatten einen kurzen und inspirierenden Austausch zu den Zusammenhängen zwischen Improvisation und Feldenkrais.

Theoretical Sampling

Nachdem das erste Forschungsgespräch mit GP 1 schon 10 Monate her war, war die oben beschriebene Verbindung zwischen Feldenkrais und Improvisation ein sinnvoller Anknüpfungspunkt. GP 2 hat die Sichtweise der Feldenkrais-Kollegin auf die Musizierpraxis der klassischen Musiker, sie sieht eine Verbindung zur Improvisation und integriert beides in ihren Unterricht.

Allgemeines zum Gespräch

Die Wahrnehmung trat als wichtiger Aspekt in der Analogie zwischen Feldenkrais und Improvisation auf. Zu der Frage, wie sich Feldenkrais mit dem Musizieren verbinden lässt, erzählt GP 2 zwei Beispiele.

Auszüge aus dem Gespräch

1. Offene Wahrnehmung in alle Richtungen

C. E.:

Du hast in dem Workshop im April erzählt, dass du starke Parallelen zwischen der Feldenkrais-Methode und der Improvisation siehst. Kannst du diese für mich näher beschreiben?

GP 2:

Für mich ist die größte Parallele , oder größte Notwendigkeit, möchte ich fast sagen, eine Methode, wie die Feldenkrais-Methode zu kennen und damit gearbeitet zu haben, dass ich der Ansicht bin, dass man als Musiker alles denkbar Mögliche machen sollte, und die Wahrnehmung zu stärken. Also, ein Musiker, der gewohnt ist nach Noten zu spielen, was vor ihm steht, erstarrt im Laufe der Zeit meiner Erfahrung nach, im Rhythmuseinheiten mit seinem Nachbarn und im nach lauter oder leiser Sein und die Tonhöhe treffen . In dem Moment, wo du anfängst improvisatorisch zu arbeiten, musst du alle Sinne aufmachen. Und hochfahren sozusagen um mitzukriegen, was läuft und dich da einzubinden. Wenn es um die eigene Fantasie Anregung geht, ist es einfach notwendig voll wach zu sein für das, was die anderen tun. Ich wüsste nichts, was dazu besser geeignet wäre, als die Feldenkrais-Methode.  Egal, ob man es nun alleine macht oder mit Anderen  arbeitet, man lernt sich selber am besten wahrzunehmen und man lernt denjenigen, mit dem man arbeitet, in einem ganz anderen Licht zu sehen und  ganz neu zu erleben. Für mich ist das einfach  der Hauptgrund, warum mir die Feldenkrais-Methode so entgegen kommt, wenn es um das Musizieren geht, warum ich das Improvisieren für Musiker für so notwendig halte. Auch für ihr normales Musizieren ist es wichtig,  weil man ganz anders hören lernt, die Musiker, mit denen man zusammen spielt erlebt, oder neu erlebt und wie bei Feldenkrais nie auslernt.

Meine Erfahrung ist,  – und es ist jetzt schon fast 20 Jahre her, dass wir in die Ausbildung gegangen sind – ich habe das Gefühl, dass meine Wahrnehmung immer noch zunimmt, zunimmt, zunimmt. Also verfeinert wird, genauer wird, wacher wird, und ich andere Leute in einem zunehmenden Maße wahrnehme. Ich muss es direkt abschalten, wenn  ich Ruhe davon will (Gelächter). Und das ist eben, was ich beim Musizieren als Grundlage persönlich wichtig finde.

C. E.:

Darf ich das noch mal ein wenig raus kitzeln. Was genau ist anders in der Wahrnehmung? Ich könnte ja jetzt frech sagen: Wieso, wenn ich einen Beethoven spiele, muss ich ja auch hören.

GP 2:

Es geht um Nuancen. Es geht um Feinheiten. Natürlich muss man auch hören. Sonst ist man kein Musiker. (Gelächter). Das heißt, dass gibt es sogar, es gibt eine taubstumme Schlagzeugerin, die besonders sensibel ist. Aber die hat wieder auf anderen Feldern ihre Wahrnehmung. Das kennst du ja auch.

Es geht ja darum, inwiefern die Wahrnehmung zunimmt. Also du kannst z.B. so für dich als Feldenkrais-Pädagogin, verständlich an der Tatsache, dass wenn ich eine Feldenkrais-Lektion, die  ich  schon hundert Mal unterrichtet habe,  für mich selber wiederhole, oder auch im Unterricht, mit einer Gruppe, ich immer neue Dinge entdecke! In mir; an mir; an Leuten, auch wenn es das gleiche Thema ist, die gleiche Lektion zum unzähligsten mal. Dinge, die mir beim ersten, zweiten und zehnten Mal nie aufgefallen sind,

2. Entscheidungen

C. E.:

Aber beim improvisieren spielt man ja nun nicht immer das gleiche Stück.

GP 2:

Nein! Genau darum geht es mir, dass du zum Improvisieren eben deine Sinne so ganz weit aufmachen musst, wie nur möglich. Und beim Improvisieren geht es um Alles, was Musik eigentlich ausmacht. Du musst ein Gefühl entwickeln für Längen, für Spannungen, für Dynamik, für Form und für den Mitspieler, den Mitmusizierenden. Also, überhaupt, wenn man in der Gruppe musiziert, wie du es beim Musizieren mit vorgeschriebener Musik meiner Erfahrung nach und meiner Überzeugung nach nie in dem Ausmaße ausschöpfst. Weil du einfach auf bestimmte Parameter achtest. Das Zusammenspiel ordentlich funktioniert.   Da kommen so viele Eindrücke hinein. Was passiert jetzt bei dem? Was tut der? Wie könnte ich drauf reagieren? Was kommt jetzt da Neues? Will ich das? Will ich was anderes? Das sind Dinge, die du dich nicht fragen musst, wenn du Musik interpretierst, die der andere komponiert hat.

C. E.:

Das ist richtig. Bei Beethoven ist es ja schon da. Da weiß ich, welche Töne kommen als nächstes, welche Phrase kommt als nächstes. Und  meinst du, es ist vielleicht so,  dass man die Aufmerksamkeit, oder die Gefahr, dass man die Aufmerksamkeit abschaltet, weil man das nicht braucht? Bei der Improvisation musst du es machen.

GP 2:

Eben!

C. E.:

Es wäre vielleicht bei Beethoven auch hübsch.

GP 2:

Ja, eben das meine ich ja! Wenn du dich mit Improvisation beschäftigst,  dann bleibt dir diese Wahrnehmungsfähigkeit, ob du sie einsetzt oder nicht, eine Wahrnehmungsfähigkeit, die dir eben beim  Spielen von vorgesetzter Musik zu Gute kommt, weil du ganz anders anfängst auf andere zu hören.

3. Verbindung zu den Bewegungen am Instrument

C. E.:

Wenn ich jetzt mal auf dieses Thema der Bewegungsqualität komme, siehst du da einen Zusammenhang, wenn du improvisierst, dass dein Körper sich dann anders bewegt?

GP 2:

Ich habe damit keine eigenen Erfahrungen. Ich beschäftige mich in erster Linie mit Vokalimprovisation und ich habe daher diese Erfahrungen, die du gemacht hast, nicht aus eigenem Erleben. Nur was das Musizieren allgemein betrifft. Ich arbeite sehr viel mit Instrumentalisten. Und ich kann z.B. erzählen von einer Pianistin, die schon sehr lange zu mir kommt. Sie war meine Studentin auf der Hochschule, auf der Uni, und da habe ich immer so am Anfang so Feldenkrais-Stunden andeutungsweise mit den Studenten gemacht, um sie einzustimmen auf den Einsatz der Stimme. Aber sie ist Pianistin. (…) Und sie besucht jetzt seit über zehn Jahren eine Feldenkrais-Gruppe und kommt gelegentlich, um mit mir am Klavier Feldenkrais zu machen. Und das ist so ein faszinierendes Erlebnis gewesen, immer wieder gibt es solche, aber um eines zu erzählen. Ich habe die Beckenuhr gemacht gehabt. Ziemlich ausführlich. Einen Monat lang, mit so allen möglichen Variationen und Varianten usw. Wie sie das nächste Mal zu mir ans Klavier kam, zu einer Feldenkrais-Stunde ans Klavier, habe ich ihr noch nicht mal richtig zugeschaut, sondern ich habe gehört, dass sie einen unglaublich feinen und nuancenreichen Anschlag hatte am Klavier. Da habe ich mir gedacht. Da hat sich was getan. Da hat sich was verändert. Es ist eine fabelhafte Pianistin, wirklich eine wunderbare Pianistin. Aber da habe ich das Gefühl gehabt, da ist irgendeine neue Qualität drin. Und ich hatte das kaum gedacht, da unterbricht sie zu spielen und sagt: „Weißt du was, seit du die Beckenuhr mit uns gemacht hast, habe ich einen anderen Anschlag am Klavier.“ Und zwar, weil sie die Verbindung zur Klavierbank, wie sie sitzt, wie beweglich, also wie der Körper mitspielt, über den Sitzbeinen auf der Klavierbank, kam einfach ihrem Schultergürtel, ihrem Anschlag am Klavier total zu Gute. Das sind so Erfahrungen, die ich laufend gemacht habe bei verschiedenen Instrumentalisten. Aber das hat jetzt nicht mit Improvisation zu tun. Sondern mit Feldenkrais und Instrument.

C. E.:

Genau und die Frage ist halt, kommt da eine improvisatorische Qualität in ihr Spiel rein, plötzlich eine Freiheit,

GP 2:

Kann sein, was die Bewegungen betrifft, auch wenn sie nicht improvisiert.

C. E.:

Denn meine Erfahrung ist ja, dass manchmal – die scheint ja jetzt schon länger Feldenkrais zu machen – ich habe aber die Erfahrung mit den Studenten, dass es manchmal schwierig ist.  Die spüren plötzlich den Körper anders und dann kommt das Instrument und die Gewohnheiten schlagen zu.

GP 2:

Ja natürlich, das kann eine ganz schwierige Sache sein. Ich habe einen Studenten gehabt, einen sehr begaben Cellisten, der hat bei mir Feldenkrais gemacht auf der Musik-Uni, und der stand unmittelbar vorm Diplom. Der hat sich so interessiert für diese Art von Verbesserung, dass er unterbrochen hat ein Jahr vor seiner Diplomprüfung, und ist nach Basel gegangen und hat dort die Feldenkrais-Ausbildung gemacht. Und nach dem ersten Segment in Basel, oder nach dem ersten Jahr, ist er total umgestürzt, weil er gemerkt hat, er muss von neu anfangen Cello zu spielen. Er muss sein Cellospiel völlig neu aufbauen, weil er kann nicht auf die Art und Weise, wie er bisher gespielt hat, weiter machen. Mit den Erfahrungen, die er bei der Feldenkrais-Ausbildung gemacht hat, geht das nicht.

C. E.:

Das war bei mir ganz genau so.

GP 2:

Bei dir auch ja? Und er hat einen riesigen Klinsch mit seinem Professor hier gehabt, der ihm nicht zubilligen wollte, dass er seine Technik neu aufmacht und  ganz von vorne anfängt sozusagen.

C. E.:

Ja, der hat das nicht verstanden.

GP 2:

Ja natürlich. Und er hat sich durchgesetzt, aber da war er bereits in einem Stadium, wo er einfach zum Spaß oder zum Training zu Probespielen gefahren ist und gewonnen hat, obwohl er gar nicht vor hatte, ins Orchester zu gehen. Also auf einem Höchststand.