Forschungsgespräch 06

Inhalt

Einleitung

1. Vorbereitung der Atemlänge

2. Spielhaltung im Jazz

3. Vermeindliche Freiheit

4. Mentale Planung und kommen lassen

5. Entspannte Grundeinstellung und mentales besetzt Sein

6. Zeitebenen

7. Wahrnehmen und Hören

Einleitung

Datum: 10.12.2011

Persönlicher Kontakt zum Gesprächspartner

Ich unterrichte seit 2008 gemeinsam mit GP 6 ein Seminar über freie Improvisation im Studiengang Sonderpädagogik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Die Zusammenarbeit erweist sich als äußerst befruchtend und ergänzend. 2009 und 2010 habe ich jeweils ein Landartprojekt mit dem „ersten improvisierenden Streichorchester“  inszeniert. In diesen beiden Projekten wirkte GP 6 als Gastmusiker mit, wodurch ich ihn von der künstlerischen Seite kennenlernen konnte.

Theoretical Sampling

GP 6 bringt zwei Aspekte mit, die mir bislang in meinem Datenmaterial fehlten. Er ist Bläser (Klarinette und Saxophon) und er hat neben seiner klassischen Herkunft sehr intensive Erfahrung mit Jazz. Da ein Bläser seine Atmung besonders organisieren muss, wollte ich von ihm wissen, wie er dies in improvisatorischen Situationen erlebt. Das Thema Jazz interessierte mich zunächst nicht vornehmlich, aber ich hatte es im Hinterkopf, das es möglicherweise in das improvisatorische Denken hinein wirkt.

Allgemeines zum Gespräch

Wir nähern uns im Verlauf des Gespräches der Fragenach der Bewältigung von körperlichen Aktionen, wie z.B. eine lange Phrase, eine große Steigerung oder ein extremes Pianissimo. GP 6 beschreibt, dass er sich beim Spielen von Stücken mental aufgesogen fühlt, weil er die Herausforderungen planen muss. Sehr interessant ist die Frage, ob man beim Musizieren in der Gegenwart spielt, oder ob das Denken stark mit Vergangenheit und Zukunft beschäftigt ist. GP 6 beschreibt, dass er beim Interpretieren kaum in der Gegenwart denkt und wahrnimmt. Der Aspekt des Spielgefühls im Jazz klingt nur am Anfang an. GP 6 beschreibt es als schon vorher durch den Stil vorgegeben.

Auszüge aus dem Gespräch

1. Vorbereitung der Atemlänge

C. E.:

Was mich jetzt mal interessieren würde ist, wenn du beim Improvisieren einen langen Ton oder eine lange Phrase spielst, bereitest du dich dann mit der Atmung darauf vor?

GP 6:

Weiß ich nicht. Wenn du jetzt spontan denkst: Jetzt möchte ich einen langen Ton spielen.  Ob ich dann bewusst mehr einatme, dass ich mehr Luft habe, oder ob sich das in dem Moment ergibt, – oh der Ton soll jetzt aber lang sein, und jetzt habe ich aber gar nicht so viel eingeatmet, – Das geht ja jetzt gar nicht. Wenn das dann so passiert, dann setze ich auch kurz aus. Und spiele den gleichen Ton dann noch mal an.               (gemeinsames Gelächter)

2. Spielhaltung im Jazz

C. E.:

Du spielst ja auch Jazz. Ich habe bislang noch keinen Jazzer befragt. Vielleicht kannst du beschreiben, wie das beim Jazz funktioniert.

GP 6:

Also ich finde, als Jazzer improvisiert man natürlich völlig anders. Weil du bist da durch die Harmonik gebunden. Du bist auch durch die Rhythmik gebunden. Das ist finde ich schon eine ganz andere Grundeinstellung.  Wenn ich jetzt jazzmäßig improvisiere dann habe ich ja auch irgendwie das Metrum dazu. Da kommen die Off-Beat und die Spannungssituation im Takt irgendwie viel mehr zum Ausdruck.

C. E.:

Hast du schon mal Jazz gespielt ohne Metrum?

GP 6:

na, die Freejazzer die machen das. Bei Traditionellem Jazz, oder Modern oder Bibob da hast du immer den Takt und das Metrum im Hintergrund und du brauchst das auch um dich auch gegen das Metrum zu stellen. Wenn du irgendwelche Akzente setzen willst. Aber du bist da eben nicht so frei, wie bei dem freien Improvisieren, wo es keine Vorgaben gibt. Und da ist es dann, was diese körperliche Einstellung zum Musizieren angeht, das man etwas anders rangehen kann, als beim Jazz. Da ist ja immer dieser unerbittliche Drive in der Musik drin., wo man einfach so mitmacht und der Körper auch so im Takt mitschwingt, oder auch gegen den Takt zu arbeiten, oder das der Körper dann eben in die Unterteilungen kommt, während ja die Unterteilung in der freien Improvisation gar nicht da ist.  Da kann man sich dann völlig offen fühlen.

3. Vermeindliche Freiheit

C. E.:

Fühlst du dich dann völlig offen?

GP 6:

Manchmal ja. Dann lasse ich das so einfach kommen, was im Moment passiert.  Oder ich höre auch mal zu, was denn die Anderen so machen und lasse mich davon inspirieren. Und man ist dadurch natürlich weniger eingeengt.

C. E.:

Es ist ja die Frage, ob man ganz frei ist.

GP 6:

Du bist ja im Rahmen der Idee, die da vorher abgesprochen worden ist, bist du ja frei oder nicht frei. Du willst ja versuchen dieser Idee Genüge zu tun, die da vorher abgesprochen ist. Dazu musst du ja eine Einstellung haben und die macht dich ja nicht ganz frei. Du bist ja dann schon eingeengt in der Art und Weise, wie du dich gerade äußerst.

C. E.:

Genau, und auch wenn du vielleicht vorher keine Ideen hast, bist du vielleicht eingeengt, von dem was die Anderen spielen. Du kannst ja nicht irgendetwas spielen.

GP 6:

Wenn man keine Idee hat, dann muss man erst mal warten.

C. E.:

Dann kommt die ja aus der Musik selber. Ich meine, wenn du so auf einer Session spielst, dann ist ja gar nichts abgesprochen.  Ich erinnere mich an eine nächtliche Session auf einem Symposium für improvisierte Musik, was sich sehr in die Länge zog. Ich hatte die Idee eingebracht, ob man nicht die Stücke zeitlich ein wenig begrenzen könnte. Dies stieß auf Widerstand, weil es Kollegen gibt, die selbst eine Begrenzung, dass ein Stück eine bestimmte Dauer nicht überschreiten soll als einen Eingriff in ihre momentane Befindlichkeit sehen. Es ist die Frage, ob das dann frei ist.

GP 6:

Die Frage ist ja nun, wie stellt sich Atmung auf so eine Aufgabe ein.

C. E.: (unterbricht)

Ich finde es interessant – du kannst ja da offenbar deine Befindlichkeit  wahrnehmen und mitnehmen in das Stück. Das ist die Frage, wenn du einen Jazzstandart spielst, ist davon ja vielleicht ja weniger da.

GP 6:

Ja genau, da ist die Befindlichkeit ja nicht so wichtig. Durch das Metrum und durch den Stil ist es ja schon auf eine bestimmte Schiene gesetzt. Auf diese Schiene bist du ja nicht gesetzt, wenn du jetzt frei improvisierst. Da ist die Schiene ja nicht da und da kannst du ja viel mehr auch von deiner Befindlichkeit ausgehen. Ich kann das gar nicht so in einem Satz fassen. Das geht einfach nicht. Jedes Mal, wenn wir uns treffen ist das eine andere Situation, ein anderes Ambiente, eine andere Spielsituation und schon wird man anders beeinflusst.  Es ist jetzt einfach die Frage, was sich da einstellt. Beim reinen Improvisieren im Gegensatz zum gebundenen Improvisieren.  (nach Pause) also vielleicht ist es ein wenig eine größere Offenheit beim freien improvisieren. Das man noch mehr gespannt ist,  was da jetzt kommt, und lässt sich dann davon mit tragen und dass man sich dann auch musikalisch auf diese Offenheit konzentrieren kann. Daraus kommt die Inspiration.

4. Mentale Planung und kommen lassen

GP 6:

Ich habe gelernt, dass man durch die Atemführung die Linie gestalten kann.  (…) Die Musik liegt ja zwischen den Tönen. Und wenn man darüber nachdenkt, dann wird auch ganz klar, dass man die Übergänge der Töne gestalten muss. Das man nicht c und d spielt, sondern wie man vom c zum d hinkommt.

C. E.:

Ich mag sehr die Metapher, die Heinrich Jacoby da gegeben hat. Alles, was du an der Musik notieren und analysieren kannst, nennt er „Gehäuse“ und die Spannung zwischen zwei Klängen und die Ausdrucksnuancen nennt er „Inhalt“. Er kritisiert schon in den 20ger Jahren, dass die Musikpädagogik sich immer zuerst auf das „Gehäuse“ konzentriert. Beim Improvisieren haben wir das „Gehäuse“ nicht und müssen uns mit dem „Inhalt“ zuerst beschäftigen. Du hast ja eben gesagt, du hast das gelernt, dass man die Atmung so einsetzen kann. Wie ist das nun beim improvisieren? Da passiert es ja so schnell. Du kannst es ja nicht vorher planen.

GP 6:

n(nach zögern) Ja – (lächelt) ich kann  schon, wenn ich mir jetzt bewusst überlege, an der Stelle möchte ich jetzt etwas ruhiger spielen, oder da eben eine Legatopassage irgendwo einbringen, dann kann ich das schon irgendwo in der Musik auch gestalten. – Ich würde es jetzt nicht so sehen: Ach jetzt kommt so eine Stelle. Jetzt bin ich nicht vorbereitet. Ich kann mich schon auch darauf einstellen. Aber das kann sich natürlich auch umgekehrt ergeben. Es kann ja auch sein, dass ich einfach mal nur kurze Töne spielen will zwischendurch.

C. E.:

Ja, aber das spürst du ja irgendwie. Das muss ja passieren. Aber was ich wissen will ist anders. Wenn du ein Stück spielst, dann weißt du es ja vorher. Da kommt jetzt eine Legato- oder Stacatopassage.

GP 6:

Ich denke gerade auch darüber nach, wie das wäre, wenn ich jetzt z.B. Schumann fantasiestücke spiele auf der Klarinette, dann muss ich ja schon mir vorher –  es kommt ja dann eine Legatopassage, mich körperlich so drauf einstellen, dass ich das Gefühl habe, ich kann das jetzt wirklich, ohne dass ich zwischendurch noch mal atme, auch ausführen. Das ist auch eine Frage der Übung, ob man so lange aushält. Das ist mir auch oft gegangen, dass ich am Anfang eben eine Phrase nicht in einem Atemzug  spielen konnte,  und dann durch das üben das hingekriegt habe, dass es dann irgendwann kein Problem mehr war. Dann hatte ich also die Phrase mit einem Atem. Aber das hat dann vorausgesetzt, dass ich mich vorher drauf einstellen kann. Ich muss das dann schon planen. Also an der Stelle muss ich dann Luft holen. An der Stelle muss ich mich mit der Spannung so einstellen, dass ich über die Phrase hinweg komme.

C. E.:

Aber wenn du jetzt improvisierst, dann spielst du ja komischerweise auch so lange Phrasen, oder?

GP 6: (nach langer Pause)

Na ja, da ist es eben nicht so, dass man das da schon voraussieht, dass da jetzt gleich diese Stelle kommt. Das siehst du dann eben nicht. Dann kannst du das eben nicht einteilen. Dann hast du halt eben so viel Luft, wie es geht und dann geht es eben nicht mehr. (Gelächter) du hast ja nicht irgendwie so eine Planung. Du hast Noten vor dir , die Phrasen vor dir und kannst sagen, an der Stelle atme ich jetzt mal. Und an der Stelle atme ich genug ein und dann habe ich eben genug Luft. Da ergibt sich das aus der Situation heraus, ob ich das nun schaffe oder nicht. Und da ist es aber auch nicht so, dass ich jetzt das Gefühl haben muss, ich muss es durchhalten.    Ich habe dann nicht den Zwang das zu tun. Das führt vielleicht auch dazu, dass ich als Musiker nicht so voraus denken muss. ,  so direkt, sondern dann irgendwie entspannter damit umgehen kann. Ich muss mich jetzt nicht unbedingt unter das Diktat eines Werkes, eines  Notenwerkes, eines in Noten dargestellten Werkes, geben, sondern ich bin dann etwas lockerer. Wenn eine Phrase eben nicht so lang wird, dann wird sie eben nicht so lang.

5. Entspannte Grundeinstellung und mentales besetzt Sein

C. E.:

Macht das was mit dir so vom Spielgefühl?

GP 6:

Also in jedem Fall ist es so, dass man beim improvisieren entspannter sein kann, Weil es ja nicht so drauf an kommt, wie bei dem anderen Musikmachen.

C. E.:

Das stimmt, aber trotzdem hört man ja, ob du nun Klarinette oder Saxophon spielen kannst, oder nicht. Du hast ja eine professionelle Einstellung zu der Qualität, die du da bringst.

GP 6:

ja klar. Trotzdem ist es ja nicht so, dass du da etwas Planendes vorher hast. Du planst die Phrasen jetzt nicht mit deinem ganzen Körper. Es ist ja nicht so, dass du da jetzt diese Spannungseinstellung brauchst, um da rüber zu kommen, sondern das entwickelt sich ja aus dem Moment heraus. Und dadurch, dass du das vorher auch weißt, dass es aus dem Moment ist, kannst du auch ein wenig entspannter damit umgehen. Ich weiß ja nicht: kommt jetzt eine Phrase, wo ich jetzt lange durchhalten muss, oder nicht. Das weißt du ja nicht und dann bist du schon von vornherein entspannter. Manchmal erlebe ich das natürlich auch, dass im Zusammenspiel, wenn jetzt irgendwie eine Kulmination entsteht, und man dann das Gefühl hat – oh, da muss man jetzt aber mal ein wenig mehr Energie rein geben, und die hat man dann vielleicht in dem Moment gar nicht, und ist dann auch vielleicht etwas traurig, dass man da jetzt mal aussteigen muss, und es nicht weiter laufen lassen kann. Man muss dann halt einen Prozess eben unterbrechen. Und das hast du ja bei der notierten Musik nicht. Da weißt du schon vorher, da kommt diese Stelle und dann musst du dich drauf einstellen.  Das ergibt sich ja beim Improvisieren ganz aus der Situation heraus. Und dann bist du da gerade nicht vorbereitet drauf.

C. E.:

Es kann auch sein, wenn so eine Kulmination entsteht, dass man manchmal auch fast über eine körperliche Grenze rüber geht, was man, wenn man es geübt hätte nie so anpeilen würde.  Eines meiner Lieblingswerke ist das große Duett von Galina Ustvolskaja. Das ist für Cello und Klavier. Da sind vier Sätze im fff mit Akzenten und schnell und danach kommt ein 11 Minuten langer fünfter Satz ganz leise. Wenn du da technisch etwas falsch gemacht hast, dann kannst du den letzten Satz nicht mehr spielen, weil der Bogen zittert. Bei dem Stück muss man das richtig trainieren. Für mich ist die Frage, ob es in einer Improvisation nach so einem Kraftakt einfacher wäre sofort wieder los zu lassen. Wenn ich das geübt habe, dann könnte es auch sein, dass ich mehr Kraft für diese Sägerei brauche, wie wenn es aus dem Moment entsteht.

GP 6:

Aber ich denke gerade drüber nach. Das ist ja dann letztendlich vom Kopf gesteuert. Du hast ja im Kopf das Wissen darüber: da kommt jetzt gleich die Stelle. Und ich muss jetzt das jetzt so durchhalten. Ich muss das jetzt machen. Ich bin also quasi mental blockiert, ich muss das jetzt erreichen. Und dadurch, dass ich mental damit beschäftigt bin, bin ich schon nicht mehr locker. Und diesen Prozess hast du ja beim improvisieren nicht, dass du dich auf Dauer darauf einstellen musst. Schaffe ich es – schaffe ich es nicht – schaffe ich es – schaffe ich es nicht. Und dadurch bist du ja als Mensch absorbiert in Gedanken. Und diese Gedanken hast du ja beim improvisieren nicht. Und dadurch hast du vielleicht auch irgendwie mehr Energie um das irgendwo auch aus zu halten. Wo du da über dich hinaus laufen musst. Weil du nicht mit dem mentalen Hintergrund irgendwo beschäftigt bist.(…)

C. E.:

(…)Das kann ja auch ein extremes Pianissimo sein. Das ist ja auf dem Saxophon sau schwer.

GP 6:

Ja, du musst das auch bewusst setzen wollen. Und dann kann dir eben passieren, dass der Ton nicht anspricht. Wenn das Blatt nicht losgeht, und du ahnst, dass das passiert und kannst den Ton nicht so bewusst setzen, und der muss aber kommen, (…) und schaffe ich das oder nicht. Das kommt natürlich beim improvisieren nicht vor. Diese Angst kommt nicht vor. Grundsätzlich nicht.

C. E.:

Obwohl es da ja auch sein kann. Nehmen wir an: Alles um dich herum ist leise und jetzt kommst du.  der Klarinette ist leise spielen glaube ich ein bisschen leichter.

GP 6:

Ja, aber da kommt auch mal eine Situation, wo ich mich dann ärgere, dass ich die Stimmung etwas verstört habe, weil ich so nicht anfangen wollte.

C. E.:

Ja und du spielst schon pp und du bist trotzdem lauter, wie alles andere um dich herum.

GP 6:

Aber du hast vorher trotzdem nicht so das Gefühl: Das muss jetzt so kommen. Ich bin damit sozusagen mental beschäftigt und versuche mich in die Stimmung hinein zu begeben und es geht schief. Und dann ärgerst du dich, dass es eben schief gegangen ist. Aber du hast nicht diesen mentalen Vorlauf.

C. E.:

Wie geht das denn mit dem ärgern? Machst du dann was damit? Ich meine, wenn du jetzt einsetzt und der Ton ist lauter, wie du willst, oder spricht nicht richtig an.

GP 6:

Dann setze ich vielleicht gleich aus und ärgere mich. (lacht) Oder ich lasse die Musik dann doch in eine andere Richtung laufen. Man kann es nachträglich in einen Sinn packen.(…)

C. E.:

Was mich dann noch mal interessiert,  wenn du dir vorstellst du improvisierst, in irgend so einem freien Stück, oder in so einem Film, wie wir das am Mittwoch gemacht haben. Nun ja, da hast du zwar Keyboard gespielt, – Da habt ihr ja reagiert auf die einzelnen Bewegungen in dem Film. Du weißt ja nicht vorher genau, wie die Bewegung ist. Wie organisierst du dann deine Atmung? Das du dann trotzdem spielen kannst?

GP 6: (nach sehr langer Pause)

Ich weiß gar nicht, ob ich meine Atmung da so organisiere.

C. E.:

Bewusst ja wahrscheinlich nicht, oder?

GP 6:

Ne, überhaupt nicht. Eigentlich (..) Ich weiß wenn ich auf so ein Bild schaue, ob ich dann überhaupt über die Atmung nachdenke.

C. E.:

Wahrscheinlich nicht, aber sie funktioniert.

GP 6:

Ja, sie funktioniert. Ich denke da nicht bewusst über die Atmung nach. Das geht einfach. Weil man ist ja dann auch irgendwie mit seinen Sinnen beschäftigt, Ich gucke dann auf den Film und setze das dann unmittelbar um – auf das Instrument um.

C. E.:

ja, du bist beschäftigt mit dem Film und den Mitspielern, was du da hörst. Das ist total viel auf einmal.

GP 6:

Ja, das ist total viel und du bist da völlig aufgesogen.

C. E.:

Ja und wenn ich jetzt noch mal denke, das ist ja anders, wenn du Schumann spielst.

6. Zeitebenen

GP 6:

Ja, da bist du mental völlig aufgesogen. – das kommt jetzt und so muss ich mich jetzt einstellen. Dadurch das dieser Bereich wegfällt. Das Mentale fällt weg. Da bist du halt viel mehr in der Gegenwart. Und die Gegenwart führt dazu, dass du dann das automatisch tust, was dann in dem Moment angesagt ist. Du bist nicht planend bei der Sache, sondern du bist in dem Moment. Du bist in der Gegenwart. Und das ist ja etwas, was ja eigentlich sonst beim Musikmachen nicht immer da ist. Da ist man ja ständig mit Vergangenheit und Zukunft beschäftigt.

C. E.:

das ist interessant oder? Du spielst eigentlich ja immer in der Gegenwart.

GP 6:

Eigentlich spielt man immer in der Gegenwart.

C. E.:

Das geht ja nicht anders. Du kannst ja nicht in der Zukunft spielen.

GP 6:

Aber mit deinem Kopf bist du immer in der Zukunft und in der Vergangenheit organisiert.

C. E.:

Weil du das geübt hast…

GP 6:

Ja und weil du das gehört hast. Weil die Phrase eben noch nicht zu Ende ist. Erst dann zu Ende ist, wenn sie zu Ende ist. Die Phrase ist dann zu Ende und du weißt die ist jetzt zu Ende. Du hast dann immer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Blick beim Musikmachen. Während du bei dem anderen viel unmittelbarer sein kannst.

C. E.:

Wenn du jetzt den Film spielst, der gibt dir ja die Form vor. Aber wenn du jetzt ganz frei spielst, dann musst du ja schon auch die Dramaturgie von dem Stück im Kopf haben. Du musst schon wissen, was du vorher schon gespielt hast, und du musst ein Gefühl entwickeln, wann du vielleicht etwas ändern möchtest, – und irgendwann ist der Punkt gekommen, wo du das ändern musst, oder das Stück ist vorbei. Und das rekrutierst du doch daraus, dass du doch schon weißt, was hast du vorher gespielt, oder? Du bist ja nicht nur absolut in der Gegenwart.

GP 6:

Stimmt, das hängt immer von der Vorgabe ab, die man sich gemacht hat.

C. E.:

Wenn du jetzt nur eine Vorgabe hast, wie spiele 3 Stücke und die heißen 1 2 3 oder spiele eine Dreiviertelstunde, dann bist du ja nicht nur in der Gegenwart. Das macht man ja nicht.

GP 6:

stimmt. Das ist ja dann auch irgendwo. Man weiß, jetzt soll eine Entwicklung kommen. Und die Entwicklung geht von hier nach da. Also, das hat man dann ja schon im Bewusstsein.

C. E.:

Das ist nämlich ein Unterschied. Ich denke, wenn du den Schumann spielst, dann hast du diese Planung Tage, Wochen, Jahre vorher immer wieder durchdacht. Und die bringst du dann in dem Moment an. Das kannst du ja beim Improvisieren nicht. Die Planung kannst du nicht durchdacht haben. Bewegen kannst du dich ja nur in der Gegenwart. Atmen kannst du auch nur in der Gegenwart.

GP 6:

Aber  die Erwartung. Du weißt, irgendwo ist abgesprochen, dass da so ein Impuls vorkommt. Und da soll jetzt irgend so eine Entwicklung kommen. Und dann hörst du natürlich auch auf die Signale. Oder du setzt das Signal selber, weil du das Gefühl hast, jetzt muss etwas passieren. Dann läuft das ja sozusagen ab. Du merkst jetzt entweder, du hast den Impuls gesetzt, oder wenn jemand anders den setzt, dann musst du auf einmal reagieren. Du musst dich darauf einstellen und versuchen so zu spielen, dem Ganzen, was man sich abgesprochen hat. Und dann denkt man über das, was man da tut nicht direkt nach, sondern spielt dann los und wenn man dann nicht mehr die Kraft hat, dann muss man dann halt aussetzen.

7. Wahrnehmen und Hören

C. E.:

Was mich jetzt noch mal interessiert ist, wie denn die Tatsache, dass wir beim Improvisieren mehr in der Gegenwart spielen unser Hören verändert.

GP 6:

Das ist  nämlich so ein Aspekt, dass es in so einer Improvisation anders wird, das man nämlich hört.  Das man wahrnimmt, was da passiert im Raum. Man nimmt es glaube ich ganz anders wahr. Man hat so einen Kanal frei zu hören. Als wenn ich jetzt so ein Stück habe, was ich jetzt nachspielen will. Da ist der Kanal des Hörens nicht so offen. Weil er eben mit anderen Kanälen belegt ist. Das ist so das ist so wie eine Atmosphäre von Wellenbewegungen, die auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Du bist mit deinen Sinnen viel offener und viel näher an der Sache dran,