Forschungsgespräch 05

Inhalt

Einleitung

1. Sicherheit in der Freiheit

2. Steuerung von Bewegungen

3. Impulse durch die Verbindung von Musik und Tanz

4. Entscheidungsquelle

5. Spielbewegungen

6. Dramaturgische Verantwortung

7. Bewegungsempfindung und Kontrolle

8. Ebenen des Denkens und Wahrnehmens

9. Üben von Bewegungskontrolle

10. Wo liegt die Freiheit?

11. Die Zeit in der Improvisation

12. Konservierung

13. Kasus Knaktus

Einleitung

Datum:05.12.2011

Persönlicher Kontakt zum Gesprächspartner

Ich habe von 2001-2003 Improvisation an der Hochschule Felix Mendelssohn-Bartholdy in Leipzig studiert. Peter Jarchow (P. J.) unterrichtete zu der Zeit dort Methodik der Improvisation und eine Gruppenstunde. Seine strikten Aufgabenstellungen und die daraus resultierende Freiheit begeisterten mich und erinnerten mich stark an die Feldenkrais-Arbeit. 2002 während eines Winterkurses für Improvisation an der Palucca-Schule in Dresden nahm ich an einem Tanzimprovisationsworkshop bei Hanne Wanke teil, in dem P. J. korrepetierte. Ich war spontan fasziniert, wie sein musikalischer Impuls meinen Körper federleicht zu machen schien.

Theoretical Sampling

Da P. J. jahrelang als Tanzkorrepetitor an der Palucca-Hochschule in Dresden gearbeitet hatte, und ich mein oben beschriebenes Erlebnis selber gemacht hatte, wollte ich gerne wissen, in wie weit er seine musikalischen Impulse und Strukturen aus seinen eigenen Bewegungen organisiert, bzw. aus dem Bild der Bewegungen der Tänzer. Außerdem hatte ich in den vorangegangen Forschungsgesprächen zwei Feldenkrais-KollegInnen befragt, die mehr oder weniger intensiv mit Improvisation befasst waren und zwei Studentinnen, die sehr begeistert von Improvisation waren, aber es noch nicht so lange machen. Die Aussagen eines langjährig erfahrenen Meisters des Faches erschienen mir sinnvoll. Noch ein Nebenaspekt erschien mir wichtig. Die bisherigen Personen waren alle weiblich und ich wollte an dieser Stelle dafür sorgen, dass beide Geschlechter zu Worte kommen.

Allgemeines zum Gespräch

Das Gespräch war eine Suche nach dem Verhältnis von Kontrolle, Aufgreifen von Impulsen, Bewegungsempfindungen beim spielen und der Erfahrung mit den Tänzern. Die folgenden Fragen wurden in dem Gespräch reflektiert:

Was passiert eigentlich in dieser Kunstform, die zeitlich unaufhaltbar immer vorwärts geht und keine Kontrolle zulässt?

Was bedeutet es für die Bewegungsorganisation, wenn wir sehr viele Aspekte der Musik denken müssen?

Wie kommen wir eigentlich zu Entscheidungen?

Viele der Aspekte sind in einer Art Paradoxie geblieben, was ein Schmunzeln erzeugen mag. Als quasi Konklusion finden wir das Verhältnis zwischen Extase und Kontrolle.

Auszüge aus dem Gespräch

1. Sicherheit in der Freiheit

Einstieg in das Gespräch über die Beobachtung von Tänzern.

P. J.:

Das ich also festgestellt habe, dass wenn die improvisieren, bewegen die sich natürlicher. Und ich habe da auch bei Tänzern festgestellt, dass Tänzer bei Improvisation können die höher springen, und haben mehr Standfestigkeit. Die sind einfach technisch besser.

C. E.:

Aber warum? Geigespielen ist ja Geigespielen und Tanzen ist Tanzen. Ich meine, die haben ja dieselben Beine und dieselben Muskeln.

P. J.:

Ich glaube das Prinzip ist – oder ich würde mir das so erklären: Bei der Improvisation kannst du dann springen, wenn du springen möchtest. Und bei Choreographie musst du dann springen, wenn du springen musst. Du kannst auch den Sprung so vorbereiten, wie er dir in diesem Moment am natürlichsten erscheint. Oder auch bei der Tanzimprovisation, wenn die auf einem Bein stehen, dann müssen sie nicht so lange stehen, bis die Musik zu Ende ist – die können denn so lange stehen, wie sie stehen wollen. Also, das ist Alles ihre freie Entscheidung.

C. E.:

Wie ist das beim Musizieren?

P. J.:

Also vom Prinzip ist das genau dasselbe.  Dass man sich völlig frei in seinen Entscheidungen fühlt. Das du dich zudem entscheiden kannst, was dir in dem Moment am besten passt.

C. E.:

Aber trotzdem hast du doch irgendwelche Sachen im Kopf. Ich meine es ist ja nicht völlig egal was du da spielst.

P. J.:

Ne, das stimmt allerdings.

C. E.:

Zu mindestens so, wie ich dich erlebt habe, ist es ja nicht völlig egal was man spielt.

P. J.:

Im Gegenteil. Ich habe meinen Schülern immer gesagt, dass sie mehr auf das hören sollen, was ich nicht gesagt habe. Dass sie nicht den Zwang spüren diese Aufgabe zu machen, sondern dass sie die Freiheit spüren alles Andere zu machen. Wenn ich sage: Spiele mal meinetwegen Quinten, Quinten auf dem Klavier. Der Entscheidungsspielraum ist viel größer als die Aufgabenstellung.

C. E.:

Wobei deine Aufgaben ja sehr stark einschränken. Das fand ich immer so toll, dass ich bestimmte Sachen abgenommen bekomme. Z.B. Ich weiß jetzt ich muss Quinten spielen. Dann muss ich mich nicht mehr darum kümmern, welche Intervalle ich mir suche.

P. J.:

Ja, also mein Improvisationsprinzip zusammenfassend ist, dass  ich am Anfang von Aufgaben 0% Kreativität verlange.  Da musst du einfach das machen, was wir gesagt haben. Nur dann kann sich Kreativität so langsam entwickeln. Und dann schränken die Aufgaben immer mehr ein. Und wenn sie dann durch das Nadelöhr gehen, sozusagen, wo gar nichts mehr geht, dann kann ich dann langsam wieder öffnen und dann wieder mehr Freiheit geben.

2. Steuerung von Bewegungen

P. J.:

Aber trotzdem finde ich das Thema erst mal super wichtig. Also Spielbewegung oder Qualität der Spielbewegungen, da wissen die Musiker so gut wie gar nichts. Also ich weiß noch, wie der Dieter Zechlin, das war ein Pianist aus der DDR, und der hat einfach zu seinen Schülern gesagt:  Also, die Stelle muss anders klingen. Und da hat der Schüler wohl gefragt: Aber wie soll ich das machen? Ist mir doch egal, hat er dann geantwortet. Also Claudio Arrau, der hat die Bewegung immer direkt vorgemacht Und dann hat er gesagt: Und jetzt versuche das Gefühl für die Bewegung zu behalten.

C. E.:

Aber das ist auch schwer das zu behalten. oder?

P. J.:

Ja natürlich, aber wenn du dich jetzt wohl gefühlt hast, dann hat er auch gefragt und dann scheint es richtig zu sein. Ich weiß noch bei einer Chopinetüde, da hat er wochenlang mit mir die ersten vier Takte geübt. Und er hat gesagt, wenn du die kannst, dann kannst du das auf die ganze Etüde übertragen. Und er hat da unheimlich viel mit kreisender Hand und mit der Frage, wie das Gewicht verlagert  werden muss, gearbeitet. Also er hat mir unheimlich viel über Bewegungen erzählt. Und dann kam das bei mir noch dazu, dass ich nun unheimlich lange Tanz begleitet habe. Ich habe zwar selber nie getanzt, aber sehr viel Bewegung gesehen.

3. Impulse durch die Verbindung von Musik und Tanz

C. E.:

Genau, wie hat dich das beeinflusst? Ich erinnere mich an ein Erlebnis. Das war in einem der Dresdner Workshops. Da war ich in der Tanzgruppe und da hast du gespielt und da habe ich gedacht:  Wow, so stelle ich mir vor, dass ein Impuls durch mich durchgeht und mich wirklich jetzt animiert jetzt zu springen oder was weiß ich, was ich da gemacht habe. So eine Bewegungsgeste zu machen, die plötzlich so leicht ging. Wau, das muss ja eigentlich bei dir im Körper auch abgehen. Zu mindestens das Muster im Gehirn, dieser Impuls,

P. J.:

Also ich kann das genau nicht erklären. Da war mal eine Situation. Das war eine Pädagogin aus Chile, die hieß Hilde – wurde auch immer genannt die wilde Hilde, weil die so temperamentvoll war, und die hat einmal Bewegungen gemacht, die wurden immer leiser und immer langsamer und immer zarter und meine Musik natürlich auch. Und plötzlich habe ich einen riesen Schreck gekriegt, denn ich habe festgestellt: Ich spiele laut. Von dem lauten Klang war ich richtig erschrocken. Ich habe das also gar nicht vom Gehirn registriert, sondern die Augen haben es direkt an die Hände weiter geleitet. Vor allem, weil ich sie ja nun kannte. Ich habe also vermutet, irgendwann wird sie los toben.

C. E.:

War dann auch so

P. J.:

War dann auch so. Aber ich kann mich noch genau daran erinnern, ich habe das gar nicht vom Verstand her registriert.   Also, das ist gar nicht durch das Gehirn gelaufen.

C. E.:

Wahrscheinlich ist es schon irgendwo durch das Gehirn gelaufen.

P. J.:

Also zu mindestens nicht im Verstehzentrum vom Gehirn. Und ich habe auch mal irgendwo gelesen, dass auch die Nerven in den Händen so eine Art Gedächtnisfunktion haben.

4. Entscheidungsquelle

P. J.:

das würde mich auch bei Improvisation noch mal interessieren, wie ich mich entscheide, ob ich dasselbe noch mal mache, ob ich dasselbe verändere, oder etwas anderes mache.

(…)

C. E.:

Aber was passiert da bei dir? Stellst du dir diese Fragen bewusst beim spielen?

P. J.:

Ne. Also was ich beim Improvisieren merke, ich will nicht sagen, dass ich in so einen Transzustand  bin. Aber trotzdem die bewussten Entscheidungen gehen immer weiter zurück. Zu mindestens wenn ich mit Tänzern improvisiere.

C. E.:

Aber du reagierst ja auf die und du gibst ihnen Impulse.

P. J.:

Aber bei musikalischer Improvisation muss ich mich ja auch entscheiden: Füge ich mich jetzt ein, oder übernehme ich mal kurz die Führung. Gebe ich einen neuen Impuls

C. E.:

Oder mache ich einen Gegensatz zu dem was da erklingt, oder mache ich das Selbe, oder höre ich auf zu spielen.

5. Spielbewegungen

P. J.:

Was ich glaube ist, dass man diese Lockerheit in den Spielbewegungen, die man in der Improvisation hat, dass man die auch total benutzen kann, wenn man Kompositionen spielt.

C. E.:

Das glaube ich auch. Deswegen habe ich ja auch meinen Titel improvisatorische Handlungsweisen genannt, weil ich davon ausgehe, dass das, wen ich einen Beethoven spiele auch da sein kann.

6. Dramaturgische Verantwortung

P. J.:

Aber es hängt glaube ich damit zusammen, dass du bei der Improvisation die totale Freiheit hast. Natürlich bist du an das Kunstwerk gebunden. Aber, dass du bei Beethoven vorher weißt, da ist eine schwere Stelle- und dann noch eine schwere Stelle – So dass dieser Zwang sich auf das Spiel von Kompositionen negativ auswirken kann.

C. E.:

Ja und ich habe gelernt früher immer so – man soll vorweg denken. Ich höre mich immer wieder sagen, auch meinen Schülern den Kindern, dass sie lernen sollen nicht nur den Ton zu sehen, den sie gerade spielen, sondern vorweg zu denken. Also die ganze Phrase schon im Auge zu haben und so. Es ist natürlich jetzt so, wenn ich jetzt nur vorweg denke, und in der Vorstellung habe, wie das klingen soll, dann höre ich gar nicht mehr hin. Oder es kann vielleicht passieren, dass man nicht mehr hinhört.

P. J.:

Das man, wenn man Konzerte spielt immer vorwärts denkt und immer so wellenartig vorwärts denkt.

C. E.:

Aber machst du das bei der Improvisation auch?

P. J.: (nach Denkpause)

Ne, also insofern glaube ich nicht, wenn ich also irgendeine Struktur am Wickel habe, denn weiß ich natürlich nicht, wann ich diese Struktur ändere.  Aber auf einmal denke ich: Jetzt muss ich sie ändern. Aber nicht drei Takte vorher, sondern an einer bestimmten Stelle. Und dann ändere ich auch sofort.

C. E.:

Und wo kommt der Impuls her?

P. J.:

das weiß ich auch nicht. (lacht) Ne ich glaube bei der Improvisation ist auch noch das,  dass du nicht nur den Spielapparat bewegst, und die Tasten und die Töne aussuchst, sondern du hast ja auch noch die Dramaturgie des Stückes im Kopf.

C. E.:

Hast du die im Kopf?

P. J.:

na, wo soll ich sie sonst haben. (Gelächter) Das du während des Verlaufes einer Improvisation auch eine dramaturgische Kontrolle hast. Das du z.B. auch irgendeine Ahnung hast, wann Schluss sein könnte, oder wie lang das ist, wann du was ändern musst, wann du Kontraste einbaust

C. E.:

Also du hast eine Verantwortung.

P. J.:

Diese künstlerische Verantwortung für ein Werk. Und die kann man auch trainieren.

7. Bewegungsempfindung und Kontrolle

P. J.:

Und was mich da interessieren würde, was dann auch für das Spielen von Kompositionen wichtig ist, dass man diese Bewegungsempfindung  bei Improvisation versucht zu begreifen und dass man die dann versucht auf das Spiel von Kompositionen zu übertragen.

C. E.:

Aber was ist das für eine Bewegungsempfindung?  Das ist ja genau der Knackpunkt. Das ist schwer.

P. J.:

Also, ich kann es nur vom Klavier sagen. Dass man beim Klavier immer das Gefühl hat, dass du mit den Fingern durch die Tasten an die Saiten kommst. Dass du nicht, wenn du die Taste berührst, die Bewegungsempfindung da Schluss macht. So, dass du genau die Empfindung hast, dass du die Mechanik, die ich übrigens vom Klavier auch gar nicht verstehe, nebenbei gesagt, dass du versuchst, durch die ganze Taste durch die Mechanik an die Saiten zu kommen. Und das kann ich von meiner Seite sagen, das ist beim Spielen oder Improvisieren mehr oder weniger wahr. Manchmal habe ich direkt das Gefühl, dass ich in die Tasten knete sozusagen.

C. E.:

Du kriechst da rein mit deiner Aufmerksamkeit.

P. J.:

Das ist z.B. so eine Empfindung.

C. E.:

Das ist eine Verbindung

P. J.:

Es ist, dass du das Instrument körperlich machst. Dass du das Klavier als einen Teil deines Körpers begreifst. Und das ist dann, glaube ich, auch für das Spiel von Kompositionen sehr wichtig.

C. E.:

Und warum gelingt dir das beim Improvisieren besser? (Pause und Gelächter)

P. J.:

Hm, beim Improvisieren denke ich nicht darüber nach. Da mache ich das einfach ohne dass ich das plane. Bei einer Komposition setze ich dieses Gefühl bewusst ein. Und dann kommt ja auch noch eines dazu: Eine Improvisation kannst du nicht üben. Mit dem Klangergebnis, was ist, das ist es nun mal. Damit musst du leben. Während bei der Beethovensonate da kannst du rumfummeln, bis der Klang so ist, wie du ihn haben willst. Also du arbeitest bei den Kompositionen glaube ich bewusster. Und du arbeitest auch vor und zurück. Und du kannst eine Stelle immer noch mal spielen. Im Konzert zwar nun nicht, Aber beim Üben kannst du die ja so absichern, dass du einigermaßen eine 100prozentige Leistung garantieren kannst. Kannst du auch nicht immer, aber in der Improvisation kannst du das ja nicht. Du kannst dich nicht so vorbereiten, dass du  dir sagen kannst: Jetzt mache ich mal eine gute Improvisation. Dann müsstest du ja auch sagen können: Jetzt mache ich mal eine schlechte.

C. E.:

Ich sage das noch mal in meinen Worten: Es ist dann so dass du im Moment mit deinem Instrument und deinem Klang und deinen Entscheidungen verbunden bist.

P. J.:

Ja ich hangele mich bei der Improvisation von einer Sekunde zur anderen. Und bei der Komposition da mache ich das nicht. Wie du schon sagtest, dass man das Gesamtwerk auch im Auge behält. Wenn du Beethoven spielst, dann hast du eine Planung von 20/25 Minuten. Und diese Vorausplanung, die hat man bei der Improvisation nicht.

8. Ebenen des Denkens und Wahrnehmens

C. E.:

Aber interessant ist ja, dass das dann irgendetwas mit den Bewegungen macht.

P. J.:

Es kann auch sein… bei der Improvisation hast du ja noch so viele andere Sachen zu denken. Also du musst die Dramaturgie beobachten. Du musst die harmonischen Sachen – ob du nun C-Dur oder…- du musst die Harmonie betrachten, dann hast du die Melodie, den Rhythmus. Das musst du ja alles erdenken. Dann hast du für die Bewegungen überhaupt keine  Zeit mehr darüber nach zu denken. Also wenn ich Improvisationsanfänger habe, dass ich denen so viele Aufgaben gebe, dass sie gar nicht mehr drüber nachdenken, dass sie improvisieren. Wenn ich z.B. so komplizierte Rhythmen mache, dann sind die so mit dem Rhythmus beschäftigt, dass sie die Auswahl der Töne wirklich echt improvisieren, weil sie keine Zeit mehr haben drüber nach zu denken. Es ist glaube ich auch so, dass die Bewegung aus dem bewussten Kontrollzentrum bei der Improvisation raus genommen wird. Und dadurch wird sie frei. Und wenn ich ein Stück spiele, dann ist das kontrollierte Bewegungsbewusstsein viel stärker ausgeprägt.

C. E.:

das ist eigentlich verrückt oder?

P. J.:

Ja, das ist sehr verrückt.

9. Üben von Bewegungskontrolle

P. J.:

Aber da muss man natürlich auch in der Pädagogik, in der Berufspädagogik anfangen. Denn das die Lehrer, die an Hochschulen unterrichten, dass die die also das Bewegungsgefühl stärker beachten. Dass ist genau das Gegenteil, was ich gesagt habe: das ist mir egal. Das ist genau das verkehrte.

C. E.:

Aber warte mal: Wenn du jetzt improvisierst, hast du ja keine Zeit mehr über die Bewegungen nach zu denken. Die passieren einfach. Und die sind trotzdem frei.

P. J.:

Ich glaube, die sind deshalb frei, weil die Kontrolle nicht mehr da ist.

C. E.:

Genau. Aber wenn du jetzt sagst, ein Pädagoge sollte sehr darauf achten, dass die Schüler das ganz bewusst fühlen, produzierst du dann die Kontrolle?

P. J.:

Ja warte mal… (Gelächter) wie komme ich denn da wieder raus… Du produzierst natürlich eine Kontrolle, aber du übst auch die Kontrolle. Und wenn du das geübt hast, brauchst du nicht mehr kontrollieren.

C. E.:

Du übst eine Kontrolle…

P. J.:

Und nachher, wenn du ein bestimmtes Maß an Kontrolle hast, dann brauchst du die Kontrolle nicht mehr. Dann sind die Bewegungen automatisiert.

C. E.:

Ja, aber das ist interessant. Das ist so ein Knackepunkt, wenn du sagst, ich kann beim Improvisieren meine Bewegungen nicht mehr kontrollieren. Dann sind die offensichtlich ja zweckmäßig.

P. J.: (…)

Also, wenn ich jetzt die Tasse anfasse. Und ich sage, ich will jetzt die Tasse anfassen. Dann mache ich das mit dem wenigsten Kraftaufwand. Also ich gehe jetzt zielgerichtet auf den Henkel zu. Und auf der Bühne, muss es z. B. schon anders sein. Also, da muss ich ganz bewusst den Weg zeigen. Ich gehe zur Tasse.

C. E.:

Wenn du jetzt Schauspieler wärst.

P. J.:

Wenn ich jetzt Schauspieler wäre. Er muss über den kontrollierten Weg wieder zur natürlichen Bewegung kommen. Aber die Bewegungen auf der Bühne müssen größer sein, als im Alltag.

C. E.:

Größer und vor allem: Es ist ja geplant.

P. J.:

Aber ich glaube, dass geht auch alles über eine bewusste Steuerung wieder ins Unbewusste.

10. Wo liegt die Freiheit?

P. J.:

Ich kann höchstens in dem Moment, wo ich auf der Bühne bin oder bei der Improvisation anfange, sagen, dass ich den ersten Ton von der inneren Befindlichkeit her spiele, und der erste Ton beeinflusst dann schon den zweiten. Deswegen habe ich auch immer sehr große Bedenken bei dem Wort freie Improvisation. Eigentlich ist nur der erste Ton frei. Und der erste Ton ist an deine Befindlichkeit gebunden. Ist ans Instrument gebunden, an die Atmosphäre.

C. E.:

Und da kannst du ja noch weiter fragen: Wie komme ich dazu, dass ich jetzt genau diesen Ton spiele? Könnte ja auch ein anderer sein.

P. J.:

Ich bereite mich auf meinen Unterricht ja nie vor. Weil ich ja nie weiß, wie der Schüler jetzt ist. Aber wenn ich dann sage, spiele das noch mal in einem anderen Tempo, dann habe ich manchmal das Gefühl, als wenn da in meinem Körper eine Kugel kreisen würde. Und ich beobachte das und dann kann ich daraus das Tempo abnehmen. Also ich nehme das sozusagen aus dem Bauch. Also ich beobachte, welches Tempo ist jetzt in mir drin. Also ich habe das direkt vom Bauch, Brustbein Schlüsselbein. Bauchnabel, also direkt der ganze Mittelkörper.

C. E.:

Ja und das kannst du natürlich wenn du ein Stück spielst jetzt so nicht machen. Da hast du bestimmte Metronomzahlen und so weiter.

11. Die Zeit in der Improvisation

P. J.:

Ich habe da auch mal einen Vortrag in Bremen gehalten über Unterschiede zwischen Komposition und Improvisation. Und da habe ich auch festgestellt: Der eine Unterschied ist der, beim Komponieren, also nicht beim Spielen von Kompositionen, also beim Komponieren kannst du vorwärts und rückwärts

C. E.:

Ja du kannst immer durchstreichen.

P. J.:

ja du kannst es in der Zeit  du kannst eine Sonate in sieben Jahren komponieren. Und Improvisation geht nur in eine Richtung. Und zwar ohne Pause.

12. Konservierung

P. J.:

Und ein Unterschied ist auch noch. Auch eine fantastische Improvisation. Du darst hinterher nicht traurig sein, dass sie vorbei ist. Man darf nicht denken: Das hätten wir jetzt aufnehmen müssen.

C. E.:

Hat man aber manchmal, oder Hast du das noch nie gehabt?

P. J.:

ne, also ich habe ein großes Unbehagen, wenn ich mir Improvisation anhören soll. Also, wenn die aufgenommen ist, oder wenn ich mir Tanz ansehe. Meistens finde ich das so was von langweilig.

13. Kasus Knaktus

P. J.:

da fällt mir jetzt ein: Das Verhältnis von Extase und Kontrolle ist glaube ich ausschlaggebend. Und das das sich bei einer Improvisation von Minute zu Minute immer ändert ist auch klar.

 

 

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