Inhalt
1. Ziele beim Musizieren allgemein
2. Das reizvolle beim Improvisieren
3. Bewusste Analyse von Strukturen
5. Wahrnehmung des Körpers im magischen Moment
6. Überwindung von Anstrengung
8. Körpergefühl in einer Rolle in magischen Momenten
9. Bewegung als Einheit mit dem Ausdruck, oder als zusätzliche Theatralik
10. Emergenz oder Üben von Technik
13. Erinnerung an extreme Situation
14. Den Fähigkeiten entsprechend Handeln
Einleitung
Datum: 17.12.2011
Persönlicher Kontakt zur Gesprächspartnerin
Ich kenne GP 7 seit 2003 als Bratschistin aus dem ersten improvisierenden Streichorchester, in dem ich seit 2003 Mitglied bin. Durch zahlreiche informelle Gespräche während der Orchestertourneen lernte ich sie besonders schätzen. Mir fiel auf, dass sie einen ganz besonderen Zugang zu ihrem Instrument hat. Ich führte dies darauf zurück, dass sie erst sehr spät mit Bratsche begonnen hat und ihr Lernprozess von Anfang an mit Improvisation gekoppelt war. Aspekte, von denen ich selber mich durch meine klassische Ausbildung für die Improvisation befreien muss, sind bei ihr gar nicht angelegt, wie z.B. auf einen bestimmten Klang und Stil festgelegte Hörgewohnheiten und spieltechnische Gewohnheiten. In der Improvisation fiel mir dies als sehr fruchtbar auf. Gleichzeitig bemerkte ich auch, dass sie keine Übung im Lesen und Abspielen von Musik hatte.
Theoretical sampling
Die 6 Gespräche, die dem voran gegangen waren, fanden alle mit professionellen Musikern statt. Ohne, dass ich danach gefragt habe, verglichen sie alle die Improvisation mit der Interpretation. Kontrolle, im Moment sein und die Konfrontation mit Hör- und Spielgewohnheiten waren mehr oder weniger ausgeprägt bei allen in ähnlicher Weise Thema. Ich wollte nun wissen, wie jemand sich an sein Improvisieren erinnert, der diesen Vergleich nicht haben kann. Biografisch relevante Fakten GP 7 ist Tochter eines Musikers. Sie erhielt als Kind aus verschiedenen Gründen keinen Unterricht. Sie erlernte Trommeln und später im Alter von 26 Jahren begann sie mit Geige. Motivation war der Klang. Sie war durch eine Situation, in der ihr Vater ein Weihnachtslied spielte, berührt. Dies war der Auslöser selber zu beginnen. Erster Unterricht bei ihrem Vater, anschließend bei einem Mitglied des ersten improvisierenden Streichorchesters und später bei einem klassischen Musiker. Nach zwei Jahren durfte sie zum ersten Mal mit zum Streichorchester gehen und wurde danach sofort als Mitglied aufgenommen. Sie war in ihrem lernen nie festgelegt auf einen Stil, sondern wollte auf jeden Fall Technik lernen, um damit jeden Stil spielen zu können. Sie sagt selber dazu, dass sie keine bestimmte Bildung erhalten wollte und Angst davor hatte verbogen zu werden. Die Mitgliedschaft im Streichorchester und auch in kleinen Ensembles des Orchesters hat sie in ihrer Entwicklung sehr geprägt. Seit ca. 10 Jahren spielt sie Bratsche.
Zum ersten improvisierenden Streichorchester
das erste improvisierende Streichorchester wurde 1984 gegründet. Eine Besonderheit des Ensembles ist, das es basisdemokratisch funktioniert. Es gibt keinen Leiter, sondern jedes Orchestermitglied kann gleichwertig Ideen einbringen und Projekte initiieren. Seit der Gründung hat die Besetzung stets gewechselt, aber es gibt auch viele Orchestermitglieder, die seit über 20 Jahren Mitglied in dem Ensemble sind. Spielweisen, Konzepte, Kommunikationsstrategien und der orchesterklang sind im Laufe der Zeit gewachsen und gestalten sich sehr flexibel. Das Ensemble verbindet grundsätzlich Musik und Performance. Bewegung im Raum und die direkte Arbeit mit den Spielorten sind selbstverständlich. Die spezielle Bespielung von Orten in Form von Landartprojekten gehört zu einem Schwerpunkt des Ensembles. Hierbei wird der Ort in den Proben erforscht und die Musiker verbinden sich mit ihren Bewegungen und ihrer Musik mit den Besonderheiten des Ortes. (Dokumentationen und Informationen unter: www.erstesimprovisierendesstreichorchester.de) Für GP 7 ist das Ensemble in besonderer Weise prägend, da sie in ihrer musikalischen Entwicklung fast von Anfang an Teil dieses Ensembles war. Das Geige- bzw. Bratschespielen hat bei ihr eine selbstverständliche Verbindung zur Bewegung.
Allgemeines zum Gespräch
Nachdem ich mein Thema ein wenig erläutert habe und GP 7 von ihrem Beginn auf der Geige erzählt hat, habe ich sie gefragt, warum sie ausgerechnet bei der Improvisation gelandet ist. Es hätte ja genauso der innigste Herzenswunsch sein können in einem klassischen Orchester mit zu spielen, oder eine bestimmte Stilrichtung zu beherrschen. Daraufhin begann sie von magischen Momenten zu erzählen. Des wurde für uns in dem Gespräch zum roten Faden, immer mehr verschiedene Beispiele und Definitionen für magische Momente zu finden und mit dem Körpergefühl in Verbindung zu bringen.
Auszüge aus dem Gespräch
1. Ziele beim Musizieren allgemein
GP 7:
(…)ich habe ganz lange so das Ziel gehabt, einen schönen Ton hin zu kriegen. Für mich hatte das von Anfang an – bewusst oder unbewusst – das weiß ich nicht mehr so genau, so eine sinnliche Ebene.
2. Das reizvolle beim Improvisieren
GP 7:
Das ist sozusagen glaube ich mein Grundtyp, dass ich alles mache, einmal wegen so einer gewissen Sinnlichkeit, deswegen bin ich ja auch Körpertherapeutin geworden, und was mein anderes Grundmotiv ist, ist irgendetwas mit anderen Leuten zu machen. Und das ist mir oft wichtiger, als der Inhalt. Und dafür bietet sich die Improvisation eben auch unheimlich gut an. In Kommunikation auf einer anderen Ebene zu treten, also nicht zu reden. So was mache ich einfach total gerne.
C. E.:
Was reizt dich an dieser Kommunikation?
GP 7:
Ich könnte zwei Beispiele sagen. Ich habe ja früher auch mal getrommelt. Auch gerne. Das habe ich dann aber aufgehört, weil es dann zu viel wurde, Und weil ich auch mit den Fingern immer irgendwie… Ich dachte, ich kriege so viel Hornhaut. Es wurde mir auch einfach zu viel. Ich bin glaube ich grundsätzlich vom Rhythmus ganz gut, ohne dass ich was dafür kann. Da konnte ich ziemlich, ziemlich gut trommeln, und da hatte ich ein Erlebnis und manchmal habe ich das Erlebnis auch beim Improvisieren: Also beim Trommeln war es so. Du kannst dann ja irgendein Stück spielen und dann gibt es auch Soloparts usw. Und du trommelst und spielst das Stück. Und dann – selten habe ich das erlebt – aber es gibt einen Augenblick, wo du spielst und du spielst gar nicht mehr. Du fühlst auf einmal – huch, was ist denn jetzt los. Und du guckst in lauter runde, strahlende Augen. Du merkst, das ist auf einmal so eine Einheit. Und es ist so ein ganz kleiner Sprung von ein Stück spielen und von diesem Gefühl, ein Teil von einem zu sein. – ich weiß gar nicht, wie ich das sagen soll.
C. E.:
so ein magischer Moment
GP 7:
Ja ein magischer Moment. Und so was glaube ich suche ich. Ich mag auch gerne das Gefühl, ein Teil von etwas zu sein, was größer ist als ich, was sich aber zusammenfügt. Und beim Improvisieren habe ich das auch manchmal. Dass ich gar nicht selber merke, was ich jetzt dazu beitrage, sondern, dass ich eher diesen Gesamtklang höre, und auch die einzelnen Leute nicht mehr so raus höre, aber ich spüre, es ist stimmig und es klingt schön und es ist ein Zusammenarbeiten. Und es ist, glaube ich, auch so ein magischer Moment, dass man gar nicht mehr weiß, wovon man jetzt inspiriert ist. Dass man sich jetzt sagt, jetzt höre ich das, jetzt spiele ich das, sondern das geht irgendwie automatisch, und hat eben auch so einen magischen Moment. Das ist finde ich eine gelungene Kommunikation. Das ist eben nicht so oft und das Andere sind dann eben auch Reibungen, bzw. die Facetten einer Kommunikation. Dissonanzen müssen ja nicht immer Streit bedeuten. Reibungen, die sein dürfen, die auch im Leben so sein dürfen. Also nicht so ein Einheitsklang, dass alle das gleiche so harmonisch miteinander spielen, und einer spielt einen schiefen Ton, und der stört das halt. Sondern es gibt so Reibungen, so Aneinander-Begegnungen. Mal zu Zweit, mal zu mehreren. Das finde ich auch interessant zu beobachten, Bei der Kommunikation mit Menschen im Gespräch, sage ich mal, gibt es die Redner und die Zuhörer, und die, die dafür sorgen, das was der Eine da so redet und redet und redet noch so ein wenig untermahlt wird. So Parallelen, das reizt mich schon zu erleben oder mit zu kriegen.
C. E.:
Wenn ich so an das Orchester denke, dann ist es ja auch so, dass Viele ganz oft in so Rollen reinfallen.
GP 7:
Und schön fände ich, und das fand ich oft im Streichorchester, dass es Möglichkeiten gibt, auszubrechen. Im Vergleich zum klassischen Orchester, da bist du 1. Geige, 2. Geige, Bratsche oder sonst was. Und du spielst auch deine Rolle. Und ich habe es immer so erlebt, auch so in einem improvisierenden Orchester, dass du auch mal die Chance hast, mal selber ein Solo zu spielen. Du hast eben die Chance mal so, mal so zu sein. Und so lange das ein Organismus ist, der das ermöglicht, dass die Rollen nicht so festgefahren sind, finde ich das toll. Und wenn ich merke, dass ist alles festgefahren, und ich muss mich richtig anstrengen, da aus meiner Rolle mal auszubrechen, manchmal ist das reizvoll und o.k., dann brauche ich halt so ein bisschen Kraftaufwand, manchmal denke ich: Dann eben nicht. Aber das fände ich jetzt für mich ein wichtiges Kriterium, mit Menschen, mit denen ich improvisiere, dass so etwas möglich ist. Weil ich mir das, und das ist wieder so eine Parallele zum Leben, auch von meinem Umfeld wünsche, und ich wünsche mir auch, dass ich so flexibel bin, dass man Veränderungen merkt, möglich macht und auch begleitet. Und das ist für mich auch Improvisation.
3. Bewusste Analyse von Strukturen
GP 7:
Was sind den deine magischen Momente?
C. E.:
Für mich ist ein magischer Moment, wenn plötzlich eine Klarheit, wo man ist, in so einem Stück, auftaucht. Das ist ein Prozess und plötzlich. Z.B. sind manchmal Schlüsse magisch. Oder Wendepunkte. Es steuert auf irgendetwas hin und dann gibt es den Punkt – zack- und die Musik ändert sich, oder sie ist eben vorbei oder es entsteht eine Pause. Und teilweise mit einer unglaublichen Struktur. Ungeplant entsteht eine Struktur.
GP 7:
das würde mich jetzt mal interessieren, wie das bei Leuten, die eine klassische Ausbildung haben, oder die Jazzmusiker sind, ist. Da ist das wahrscheinlich noch mal anders. Ich erkenne oft Strukturen gar nicht. Ich spüre die glaube ich – ich spiele die mit, aber wenn dann jemand sagt, das war jetzt „A-B-A“, dann wundere ich mich schon. Ich übertreibe jetzt ein bisschen.
4. Auflösung und Präsenz
C. E.:
kannst du beschreiben, was du für ein Gefühl hast, bei so einem magischen Moment?
GP 7:
Das ist so eine Art Auflösung. Es hat etwas mit Auflösung zu tun und trotzdem ganz präsent zu sein.
C. E.:
Was ist für dich Auflösung?
GP 7:
Auflösung heißt, dass ich mich nicht mehr als Einzelnes wahrnehme. Und auch die Anderen nicht mehr als Einzelnes. Ich könnte hinterher nicht sagen: Ah, Krischa hat den Ton gespielt und das fand ich so schön passend zu meinem. Sondern ich weiß dann nicht mehr, war es jetzt Krischa, die den Ton gespielt hat, oder war ich es. So eine komplette Auflösung und das, wo sich das Spiel im Grunde genommen von selbst ergibt. Und sich gegenseitig so ergänzt, dass du einfach nicht mehr sagen kannst, wer hat was gespielt. Für mich sind diese magischen Momente, wenn sich da irgendetwas freisetzt, und so miteinander harmoniert oder kommuniziert. Das ist so ein Gefühl, da ist irgendwie alles zusammen konzentriert auf einen Punkt, und es schmilzt zusammen. Und ich habe jetzt nicht mehr das Gefühl, das ist jetzt meine tolle Idee, dass ich jetzt den Ton dazu spiele, sondern der entsteht. Der entsteht gar nicht von mir persönlich gewollt, der muss da jetzt sein. Und ich weiß selber nicht mehr, wer den eigentlich gespielt hat. Das ist für mich ein magischer Moment.
5. Wahrnehmung des Körpers im magischen Moment
C. E.: Jetzt wird es interessant. Was macht das mit deinen Bewegungen? Du musst ja irgendwie deinen Körper benutzen zum Bratsche spielen. Von selber spielt die ja nicht.
GP 7:
Da spüre ich den gar nicht. Also jedenfalls nicht negativ. Da ist er irgendwie mit eins. Da habe ich nicht den Focus auf meinem Körper. Höchstens insofern, dass er anscheinend in der Erinnerung so geschmeidig ist, das er da kein Hemmnis ist. Das ist so auch eins. Das ist mit Eins.
C. E.:
das ist nämlich interessant.
GP 7:
Ja, das ist sehr interessant. Das ist wie wenn du so in Fluss bist. Das der hinterher dann vielleicht irgendwie doch angespannt war, das ist ja noch mal was Anderes. Aber in dem Moment glaube ich mich zu erinnern, dass das dann wie so ein Rausch ist. Das ist so ein bisschen körperlos. (…) Genau, das ist auch ein magischer Moment, wenn diese Trennung aufgehoben wird zwischen Instrument und Körper und Geist und Willen“
C. E.:
Du bist mit deiner Technik halt sehr verbunden.
GP 7:
ja genau. Das hat so was Meditatives natürlich auch.
6. Überwindung von Anstrengung
Es geht um ein Konzept des ersten improvisierenden Streichorchesters, welches „Wasserfall“[1], heißt. C. E.:
Aber es kann ja auch mal anstrengend werden. Wenn wir z.B. Wasserfall spielen. Dann kann es schon auch mal sein, dass man über eine Grenze hinausgehen muss.
GP 7:
Ja, aber das ist auch, was dann manchmal reizt, dass man über diese Grenze hinausgehen kann. Das man genau weiß, erstens kann ich jetzt nicht schlapp machen, das geht nicht. Du machst auch nicht schlapp, weil die Anderen auch nicht schlapp machen. Ich finde Wasserfall schon sehr anstrengend. Es ist nicht so, dass ich durch diese Bewegung jetzt denke, das fällt mir Alles leicht. Aber es hat so etwas Energetisches, dass man es eben durchhält.
C. E.:
Wasserfall ist ja ein Stück und das ist geplant. Da wissen wir, jetzt gleich kommt der Wasserfall und dann kann man nicht schlapp machen. Wenn ich eine Wagneroper spiele, dann weiß ich auch vorher, dass es anstrengend wird und ich kann auch nicht schlapp machen. Aber es passiert ja so etwas auch ungeplant. Und da fände ich jetzt interessant, ob das ein Unterschied ist. Wenn es in einer freien Improvisation so kulminiert, dass es lauter, schneller, wilder wird. Wie so ein magischer Moment. Weißt du, der Wasserfall als magischer Moment.
GP 7:
das habe ich mir auch gerade vorgestellt. Das kann ich mir vorstellen. Ich habe jetzt keine Erinnerung daran, ob das schon mal passiert ist. Aber z. B. in diesem Schwarm. Der ist auch nicht unanstrengend, weil du sozusagen hochkonzentriert bist. Aber der hat auch, wenn er funktioniert, sowohl musikalisch, als auch mit der Bewegung, hat der auch so eine Eigendynamik, so was Magisches, dass man so eine Freude daran hat, sich dann zu bewegen und zu spielen, dass es trotz der Anstrengung in so einen magischen Moment übergeht. Es spielt dann nicht mehr so eine Rolle. Die Konzentration liegt dann nicht auf der Anstrengung, sondern auf dem beseelten Gefühl, mit allen da jetzt so dieses Gebilde hinzukriegen und sich zu bewegen.
7. Wahrnehmungskanäle
C. E.:
Was macht der magische Moment mit dem Körper? Wie ist das mit deiner Wahrnehmung? Wenn wir uns bewegen guckt man ja wahrscheinlich. Aber die Ohren sind ja auch dabei. Wie ist das?
GP 7:
Da ist alles dabei. Wahrnehmung. Also, früher haben wir Immer so gesagt: Der Rundumblick. Du guckst natürlich gerade aus, aber du versuchst natürlich so weit wie möglich rechts, so weit wie möglich links und auch hinter dir zu spüren. Es ist so was, wie auf der einen Seite total bei sich zu sein, hohe Konzentration auf sich selbst, und trotzdem alle Sinne offen zu haben, und das andere mit zu kriegen. Aber nicht orientierungslos hinter den Anderen her zu laufen, um nichts zu verpassen, sondern gleichzeitig so eine innere eigene Präsenz zu haben. Und das hat etwas mit einer inneren Stärke und Offenheit zu tun. So das dann eigene Impulse entstehen können. Angstfrei sage ich mal, weil man davon ausgeht, dass die Anderen das auch hoffentlich mitkriegen, und mit agieren und du dich nicht irgendwo alleine auf dem Feld bewegst, und wenn dann musst du es füllen. Das geht ja auch. Und ich glaube es ist wirklich eine hoch sinnliche Öffnung in allen Bereichen. Das hat nicht nur was mit hören oder sehen zu tun, sondern das hat auch noch was Taktiles.
8. Körpergefühl in einer Rolle in magischen Momenten
C. E.:
Bei den magischen Momenten ist man nicht in einer festgelegten Rolle.
GP 7:
Ne, bei den magischen Momenten, da würde für mich auch zu gehören, das jemand mal was anderes macht, wie er immer macht. Oder sich anders erfährt. (…) Wenn man überrascht wird von der Persönlichkeit des Einzelnen, das wäre für mich auch magisch. Das wünsche ich mir auch. Das ist für mich auch Improvisation, das es so offen ist, so frei, dass auch mal was Neues passieren darf. Passiert ja auch.
C. E.:
Wenn jetzt so ein magischer Moment ist, und du gehst in eine andere Rolle rein. Das macht ja auch etwas körperlich mit dir. Kannst du das beschreiben?
GP 7: (nach längerem Überlegen)
das ist unterschiedlich. Manchmal da bin ich verkrampft. Und manchmal gibt es so was wie auch eine körperliche Freiheit. Manchmal auch, dass ich mich dann in Positur bringe und mich auch frei fühle auch so körperlich. Das muss ich schon sagen. Das ist schon auch ein freies Gefühl. (längeres Nachdenken) Also manchmal, wenn man was spielt, und man merkt, das wird jetzt irgendwie nix hier, dann verkrampfe ich mich natürlich. Mal ist es so, dass ich vorher verkrampft bin und mich freier spiele, und manchmal ist es auch so, dass ich denke, ich bin relativ frei und ich fange an zu spielen und auf einmal merke ich, meine Hände zittern, der Ton zittert, ich spiele jetzt schief, … und da gibt es auch zwei Wege. Das empfinde ich auch körperlich. Entweder ich falle da rein, und nehme mich wieder zurück, oder ich überwinde das. Es ist teilweise so ein stolzes Gefühl auf einer körperlichen Ebene auch, so ein Kraftvolleres, Bodenständiges, auf beiden Beinen stehen, so was.
9. Bewegung als Einheit mit dem Ausdruck, oder als zusätzliche Theatralik
GP 7:
Der magische Moment ist wie ein Rausch. Da bin ich schwerelos. Da gibt es auch keinen körperlichen Mangel. Das ist der eine magische Moment. Bei dem anderen magischen Moment, habe ich das schon, dass ich merke, – ich habe ja auch ein Hüftleiden –, dass ich das aber überwinde zugunsten des Größeren. In so einem richtigen magischen Moment, in einem absolut magischen Moment, da spüre ich das gar nicht. Da bin ich so gefangen und so beseelt und befreit, dass der Körper irgendwie eins ist mit mir. Das meine ich wohl mit diesem stolzen, bodenständigen Gefühl, dass ich eher ein positives Gefühl im Körper habe. Z. B. deine Übungen da in diesem Workshop, wo wir das Instrument nicht theatralisch bewegt haben, und mehr musikalisch versucht haben, das wäre auch für mich magische Moment verdächtig. Weil es da sozusagen noch mal organischer ist. Was ich merke, wo es schwierig wird, wenn ich spiele und gleichzeitig versuche mich zu bewegen. Wenn ich sehe, wie ich mich bewege bei Wasserfall, dann denke ich: oh Gott oh Graus. Es ist eigentlich gar nicht so, wie ich das empfinde in dem Moment. Oder Claudia und ich hatten ja immer das Problem, dass wir immer so runter gehen, wenn wir spielen. Wir machen uns immer wie so kleine Zwerge. (…) Wir meinten das wäre gut und wir mussten uns das richtig abgewöhnen. Wir haben uns das immer gegenseitig bestätigt, weil wir uns gegenseitig beobachtet haben. Wir haben uns gegenseitig ermahnt. (…) Von daher, ich kenne so viele körperliche Empfindungen, Und die habe ich alle beim Improvisieren.
C. E.:
Haben die was damit zu tun, was du da gerade improvisierst?
GP 7:
Ja, die haben auch was mit dem Gelände usw. zu tun. Z.B. bei den Landbespielungen, wenn ich so meilenweit latschen musste, – und jetzt kommt aber mein persönliches Thema dazu. Mein Hüftproblem. Das ich irgendwann anfing Schmerzen zu kriegen. Und dann kam mir das Elend weit vor. Tierisch anstrengend und da war ich dann körperlich überhaupt nicht gut drauf. Aber so habe ich dann glaube ich auch gespielt. Da kann ich nicht mehr frei spielen. Das ist dann eine Grenze. Und wenn das nicht ist, oder früher, wenn ich mich lockerer bewegen konnte, dann habe ich mich in diesen Klangwürsten z.B. super wohl gefühlt, sowohl körperlich als auch musikalisch. Das waren dann die Momente, wo Bewegung und Musik wirklich eine Einheit waren, da habe ich mich glaube ich körperlich am wohlsten gefühlt.
C. E.:
hat die Körperspannung, hat die was mit der Musik zu tun?
GP 7:
Ja, in dem Moment, wo es mir gelingt die körperliche Spannung und die körperliche Bewegung irgendwie mit dem Musikalischen zu verbinden, dann fühlt sich das am stimmigsten an. Wenn die Bewegung der Musik mit den Spielbewegungen stimmt und das nicht theatralisch ist, Wenn ich „la la la“ spiele und denke, das ich das „la la la“ irgendwie anderweitig ausdrücken muss. Das kann ja auch sein. Dann ist Bewegung und Musik eher getrennt. Dann denke ich, dass ich die Musik, die ich da gerade mache auf eine bestimmte Weise untermahlen müsste. Wenn das aber nicht ist, oder wenn das für mich in irgendeiner Weise stimmig ist, kann es sein, dass ich „la la la“ spiele und ein ganz anderes Tempo gehe und es gibt trotzdem eine Stimmigkeit. Wo das eine das andere bedingt und bestärkt. Und dann ist es total rund und harmonisch.
10. Emergenz oder Üben von Technik
GP 7:
(…) Eine gewisse Kontrolle ist ja da. Außer, wie gesagt in diesen magischen Momenten. Aber das sind für mich auch ganz besondere Momente. Da kann ich gar nicht erwarten, dass die so immer da sind. Sonst wären es auch keine magischen Momente. Und vielleicht ist es sogar so, dass du über die Tugenden, wie Kontrolle und auch bewusste Entscheidung dahin kommst zu den magischen Momenten. Das sind vielleicht irgendwelche Strukturen, bewusst oder unbewusst, wie die auch für dich im Einzelnen unterschiedlich sein können, worüber du dann da hinkommst.
C. E.:
Das ist üben.
GP 7:
Ja, das ist üben. Das Üben von Improvisation und auch das Üben von Techniken. Du kannst ja auch immer nur das machen, was du technisch drauf hast. Aber das stimmt auch so nicht. Ich habe auch schon Sachen gemacht, die ich vorher noch nie gemacht habe. Weil ich eben inspiriert war von den Anderen. Es ist auch für mich ein Unterschied, ob ich alleine spiele, oder ob ich mit Anderen zusammen spiele. Da kristallisieren sich ja Sachen heraus, die nicht vorher da waren.
11. Mut zum Nichtstun
GP 7:
Also bei mir und auch Anderen ist es schon auch ein Thema, wie man sich verkrampft auch beim Improvisieren. Aber ich glaube, das ist auch sehr vielfältig. Das hat ja auch z.B. auf der Bühne mit sich zeigen zu tun. Das hat teilweise mit dem Improvisieren zu tun aber auch nicht unbedingt. Vielleicht bist du verletzlicher, wenn du nicht weißt was kommt. Und ich habe auch in so Schauspielworkshops mal gelernt das aus zu halten, dass man da steht und nichts tut. Und da verkrampfen sich ja schon ganz viele. Es spielen ja auch Viele ununterbrochen, weil man immer das Gefühl hat, man kann nicht nichts machen. Und entspannt im Nichtstun zu verharren – das muss man üben. Und das gilt auch für die Improvisation und für das körperliche Empfinden während der Improvisation. Also, wenn du es aushalten kannst gesehen zu werden und nichts zu tun, bist du mit Sicherheit entspannter, als wenn du das nicht kannst. Und das ist eine andere Anspannung, wie wenn ich jetzt ein Stück spiele. , wo ich ja den Erwartungen des Komponisten, und des Dirigenten entsprechen muss. (…) Und das ist auch etwas, was beim Improvisieren wichtig ist, wie man gesehen wird.
12. Verbindung mit dem Ort
Wir unterhalten uns über ein Konzert im Sommer 2011 in Neuenkirchen-Förden. Der erste Teil bestand aus Skulpturen. Jeder Musiker beschäftigte sich speziell und individuell mit einem Ort. Das Publikum ging frei in dem ganzen Waldgebiet umher. GP 7 stand an einem sehr reizvollen Baum und bekam im Vorfeld die Rückmeldung, dass sie schon durch ihre Anwesenheit sehr gut wirkt und nicht viel machen muss. GP 7:
Mir fällt noch etwas ein. Jetzt in diesem Garten, bei den Statuen, da hatte ich einen Platz an dem Baum und habe dann da was gemacht. Und ich habe mich da ziemlich wohl gefühlt. Durch die lange Zeit und durch meine vorherige Vorgabe, ich muss hier gar nichts machen. Das sieht schon super aus, wenn ich hier mit meinem hübschen Kleid und der Bratsche an den Baum gelehnt stehe. Das ist schon schön genug. (…) Aber da – wir haben das superlange gemacht, 40 Minuten – ging es mir körperlich supergut. Das war so etwas, wo ich das Gefühl hatte, ich mache Bewegung und Musik in einem. Und da habe ich mich auch körperlich überhaupt nicht angespannt. Weil ich mir solche Positionen gesucht habe, die für mich harmonisch waren, und ich habe kein Stück gespielt, auch keine Komposition. Ich habe Klänge gemacht, die mir passend zu den Bewegungen erschienen und zu den Waldgeräuschen. Und das war sehr entspannend für mich. Erst habe ich gedacht: Oh Gott, ich soll jetzt 40 Minuten dastehen, da zittern doch die Arme. Aber ich hatte kein Problem, sehr entspannend. Ich habe mich gewundert, wie schnell das vorbeigeht. Das ist für mich gerast, die Zeit. Und das ist insofern auch ein kleiner magischer Moment gewesen auf die Körperlichkeit bezogen, so eine Einheit mit dem Baum und dem kleinen See. Ich wusste, ich kann nichts verkehrt machen. Ich brauche mich da einfach nur hinzustellen. Das reicht. Und in dem Moment war ich ein bisschen freier. Und dann merkte ich, wenn ich mich frei fühle, wenn ich selber keine eigenen Erwartungen habe oder keinen Druck, dann entstehen für mich gute Momente, wo ich weiß, dass müssen nicht unbedingt magische Momente sein. Aber sobald ich mich von innerem und äußerem Druck befreie, entsteht da so was wie Kreativität. Und dann bin ich in einer gewissen Meditationshaltung auch. Und dann entstehen auch gute Sachen. Und dann bin ich auch körperlich frei und dann freue ich mich, was passiert. Und dann lasse ich mich von der körperlichen Bewegung auch inspirieren. Da gibt es so ein Wechselspiel. Aber die Grundlage ist dann eher Neugier und Offenheit. Und das gibt mir die Improvisation. Das könnte ich nicht in einem Stück. Das ist so ein Stück Freiheit, die ich dann auch körperlich wahrnehme. Aber das hat wirklich etwas mit der inneren Haltung zu tun. (…) Aber zu dem Körperlichen. Das ist sozusagen ein guter Improvisationsmoment, wo man so was Zeitloses hat. Da vergeht auf einmal die Zeit ganz schnell und es ist nicht anstrengend.
C. E.:
Gibt es Momente, wo du dir aus deinem Körper Impulse holst?
GP 7:
Na ja, wenn ich z.B. an dem Baum stehe und mich bewege und merke: Oh das klingt jetzt irgendwie, weil ich da stehe. Und ich habe den Bogen am Griffbrett und bewege mich, dann gibt es einen Klang. Und dann experimentiere ich ein bisschen damit. Und dann drehe ich mich mal so und mal so und versuche das nicht zu spielen, sondern mit meiner Bewegung an dem Baum ein Klangbild dar zu stellen. Bewegung und Klang. Und das ist aber auch das Reizvolle für mich. Es wäre nicht so reizvoll, wenn ich mich jetzt bei so einer landart im Kotten an einen Baum stellen würde und ein improvisatorisches Stück spielen würde. Dann hätte ich eine Kulisse und mache was. Aber das tolle ist ja, sich von dieser Umgebung inspirieren zu lassen und da irgendwie in Kontakt zu treten. Aber in dem Sinne nicht mit den anderen Musikern, aber mit dem Baum der da ist, oder dem Gras, oder dem Wind oder sonst was. Und sich davon inspirieren zu lassen. Und ich finde es auch nicht so schön, dass man an einem Baum spielt und spielt irgendetwas. Das wäre dann abgetrennt, wie so ein kleines Musikstückchen.
13. Erinnerung an extreme Situation
GP 7:
Ich glaube, dass dieses Sinnliche, das ist ja auch was Körperliches, dass das was ganz Entscheidendes ist. Und vielleicht gerade, auch wenn du vielleicht verkrampft bist, aber du hast eine innere Bereicherung und eine sinnliche Bereicherung erfahren, indem du dich auf solche äußeren Bedingungen ganz anders einlässt. Das ist dann Kommunikation, nicht nur mit anderen Musikern, sondern du trittst mit deiner Umgebung in eine ziemliche Begegnung. Diese Mühle hatte für mich beispielsweise so eine Qualität. Das kriegt so etwas Sinnliches und das erweitert so auch die Wahrnehmung. Das hast du, wenn du ein Stück irgendwo spielst, nicht. Da bist du ja abgetrennt. Wenn du ein klassisches Stück oder auch Jazz oder Rock im Wald spielst, dann kann das natürlich auch eine schöne Kulisse sein, aber du trittst nicht so in Kommunikation.
14. Den Fähigkeiten entsprechend Handeln
GP 7:
Die Freiheit einfach nichts zu machen kann auch sehr entspannend sein, wenn man es als Freiheit annehmen kann.
C. E.:
Du kannst deinen Fähigkeiten entsprechend spielen beim Improvisieren. Du brauchst nicht irgendetwas spielen, was dir vielleicht noch gar nicht gefällt.
GP 7:
Ja genau. Und selbst wenn ich neben jemandem stehe, der gerade ganz komplizierte Sachen spielt, dann kann ich einen Ton dazu spielen und das ist ein Beitrag dazu.
[1] Heinze, Claudia. 2002. Wolken, Wale, Wasserfall. Konzeptimprovisationen des ersten improvisierenden Streichorchesters. Ringgespräch LXVIII, S. 27. „Wasserfall Alle spielen gleichzeitig so viele Töne in höchster Geschwindigkeit auf allen Seiten in allen Tonlagen wie irgendmöglich. Die Finger der linken Hand sind in ultimativer Geschwindigkeit beschäftigt der Bogen flitzt so schnell wie möglich über die Seiten. Dabei ist kollektives forte und kollektives piano bis zum Unhörbaren mit gleichbleibender Intensität möglich. Jeder produzierte Ton soll einzigartig hörbar sein und kein diffuses Rauschen entstehen. Die Addition der einzelnen unzähligen Wassertropfen eines Wasserfalls liegt dem Konzept der Addition der unzähligen Töne zugrunde.“