Forschungsgespräch 09

Inhalt

Einleitung

1. Transfer

2. Wahrnehmung der Realität

3. Erkennen von Fremdkonzepten

4. Improvisieren und Forschen

5. Parallelen zwischen Feldenkrais und Improvisation

6. Körperarbeit mit Musikern

7. Gewohnheiten verändern

8. Der Zustand des „Nicht-Wissens“

 

Einleitung

Datum: 14.09.2012

Persönlicher Kontakt zur Gesprächspartnerin

Meine erste Begegnung mit GP 9 hatte ich 1995 als Teilnehmerin einer Feldenkrais-Fortbildung. Der Workshop ist mir in lebendiger Erinnerung. Wir haben einen ganzen Tag auf Nudelhölzern balanciert. Ich verwende das Material immer noch sehr gerne in meinem eigenen Unterricht. 2007 sind wir uns dann auf der Jahrestagung des FVD Feldenkrais-Verbandes in einer Podiumsdiskussion begegnet. Das Thema war eine Diskussion über die Feldenkrais-Arbeit im künstlerischen Bereich und speziell an künstlerischen Hochschulen. GP 9 gibt Bewegungsuntrricht in der Schauspielausbildung. Sie ist noch von Mosché Feldenkrais persönlich ausgebildet worden.

Theoretical sampling

Einige Wochen vor dem Gesprächstermin rief GP 9 mich an und wir kamen am Telefon sehr schnell in eine interessante Diskussion über Feldenkrais und Improvisation. Ich erzählte ihr von meinem Forschungsprojekt und habe dann aus zwei Gründen entschieden, sie als Gesprächspartnerin zu fragen: 1. Sie sieht wie ich Parallelen zwischen Improvisation und der Feldenkrais-Methode und es ist für mich wichtig, diese Analogie mit anderen KollegInnen zu diskutieren. 2. Sie ist noch von Mosché Feldenkrais selbst ausgebildet und hat seinen Unterrichtsstil aus erster Hand erlebt. Ich hatte von Anfang an die Idee, dass dieses Forschungsgespräch mir Material sowohl für meinen Diskurs über Improvisation, als auch für meine Präsentation der Feldenkrais-Methode liefern würde.

Allgemeines zum Gespräch

Das Gespräch fand bei GP 9 zu Hause statt. Neben meinen Fragen, sind wir immer wieder in berufspolitische Themen abgewichen, die hier nicht transkribiert sind, weil sie sich außerhalb meines Forschungsthemas befinden. Beschäftigt hat uns die Frage, was der Kern der Feldenkrais-Methode ist und wie Feldenkrais ihn vermittelt hat. Zudem haben wir diese Kerninhalte mit Improvisation verglichen.

Auszüge aus dem Gespräch

1. Transfer

GP 9:

Also diese unglaublich erschütternde Tatsache, dass bestimmte Dinge, das ein bestimmtes Können auf musikalischer Ebene nichts für eine andere Ebene bedeutet. Also ich habe da ein Beispiel, wo ich wirklich desillusioniert war, wie sich Kunst, auch eine Wahrnehmungskunst im gleichen Leben, also auch im gleichen System, im gleichen Organismus überträgt. Ich hatte gerade Besuch von einem Dirigenten, der wirklich große Sachen dirigiert, ganz fein. (…) Also er macht jetzt seinen Weg. Aber heute Morgen habe ich gedacht: Das kann nicht sein. (lacht) Wie der im Alltag ist. Der ist wirklich grob. Der verliert Sachen, der kriegt Sachen nicht mit. Also er ist sehr liebenswert Gott sei Dank, Aber da habe ich gedacht: Guck mal– so genau. Der hört jeden Ton, der weiß genau was da hinten im Orchester nicht stimmt. Der ist so fein. Und dann ist der außerhalb von diesem Geschäft und dann, dann nimmt der das nicht wahr. Also da habe ich gerade heute Morgen drüber nachgedacht. Weil unsere Theorie ist doch oder unsere Vermutung oder Hoffnung, – und auch manchmal berichten das ja auch Leute. Es gibt schon Leute, die sagen: du jetzt ist es viel leichter für mich meine Arbeit zu machen oder am Computer oder was … Das gibt es schon auch, diese positiven Berichte. Aber eigentlich gehen wir ja davon aus, das es zwangsläufig, ohne dass wir etwas dazu tun müssen, dass wenn ein Bereich qualitativ sich verbessert, dass es sich auf die Anderen in einem positiven Sinne auswirkt.

C. E.:

Aber bei Feldenkrais ist es ja nicht so, dass du eine Tätigkeit so spezialisierst, wie ein Dirigent das jetzt tut mit dem Hören.

GP 9:

das stimmt.

C. E.:

Oder wie ein Musiker das tut in der Feinmotorik. Sondern die ATMs, die wir machen sind doch immer umfassender und wir üben nicht eine ATM fünf Jahre lang.

2. Wahrnehmung der Realität

GP 9:

Nein, aber wir üben mit verschiedenen ATMs immer das Gleiche.

C. E.:

Das stimmt. Aber das ist ein anderer Weg. Was würdest du sagen, was wir da üben?

GP 9:

Also ich würde sagen, egal was wir da tun, wir üben die Selbstwahrnehmung. Ganz exakt wahrnehmen ohne zu beurteilen. Weil die Beurteilung verfälscht schon die Wahrnehmung. Also das ist zu mindestens das, was ich versuche zu üben, das es möglich ist bevor das Urteil kommt und das Konzept und wie das ist und  ob das gut oder schlecht ist, einfach wahrzunehmen, was ist. Und ich versuche schon auch den Leuten klar zu machen, also ich finde, das gibt es im Leben der Menschen. Z.B. wenn die kochen. Nicht jeder kocht, aber nur als ein Beispiel, und sagen sie immer: Irgendwie fehlt da noch was. Also dieser Moment von irgendwie fehlt da noch was, ich tue mal noch ein wenig  Thymian rein. Und dann dieser Moment, wo sie das abschmecken. Wenn du da Leute beobachtest, oder das kennst du ja von dir selbst, dieses ganz genaue Wahrnehmen – oh, ja… und noch ein bisschen Salz und jetzt stimmt es. Also dieses Gefühl von Stimmigkeit. Also da gibt es schon noch so Kulturtätigkeiten, wie kochen oder vielleicht den Tisch decken oder die Blumen in der Vase arrangieren, wo wir diese Qualität von Wahrnehmung haben. Und das auf sich anzuwenden, so dass eben rechtzeitig beobachtet werden kann, wenn etwas ruinös verläuft, wenn sich da was anbahnt, wenn man  dabei ist, sich etwas anzutun, anstatt sich in dem zu fördern, was man gerade zu tun hat. Ich finde, das wird in jeder ATM eigentlich geübt. Und insofern auch wunderbarer Weise geübt, dass man die Dinge nicht erst entdeckt, wenn einem jemand einen Hammer auf den Kopf schlägt, sondern, wenn man angeschubst wird. Also, das es feiner wird.

3. Erkennen von Fremdkonzepten

Das zweite, was ich finde, was man lernt ist, zu realisieren, dass wir vollgestopft sind mit Konzepten, – unsere eigenen und die von Eltern oder von weiß der Himmel was,  wie auch immer wir die uns angeeignet haben, und das jede Handlung, jede Reaktion, das was wir selber tun, oder andere,  – wie wenn dieser Pott von Konzepten immer da ist und sich aufdrängt. Man muss wirklich sagen: hallo, ok. Hallo Konzepte, ich weiß ihr seit hier, ich gucke es mir wirklich noch mal an. Was denke ich da wirklich drüber? Wie reagiere ich wirklich? Wie will ich diesen Arm wirklich heben? Will ich den so heben, wie ich das im autogenen Training gelernt habe? Wieso muss ich das? Das war vor fünf Jahren. Ist das wirklich so? Die wichtigste Frage. Meine Schüler sagen immer: Dein neues Buch muss heißen: Ist das so? (Gelächter) Das passiert so ganz oft. Ich frage dann was – und wenn du so das Bein Richtung Brustkorb hebst, was geschieht dann in der Taliengegend mit den unteren Rippen. Also mal so ganz einfach. Und vielleicht sagt auch mal jemand: Ja, das ist doch klar. Ich arbeite ja viel im Stehen und Gehen. (Lange Pause) Und dann sage ich: Aha, ist das so? Ist es für euch auch so? Und der Grad der Verunsicherung. Nur diese Frage verunsichert die Leute so. Ja doch, das ist doch so! Ich habe ja nicht gesagt, dass es nicht so ist. Wie wenn man gleich verteidigen müsste, entweder die einen verteidigen sich gleich, und die anderen, die nehmen es zurück und sagen: vielleicht doch nicht. Also diese Sicherheit mit sich Selbst und mit den eigenen Vorgängen …

C. E.:

…das man es nur selber beantworten kann.

GP 9:

Das man es nur selber beantworten kann und nicht nur, dass man es nur selber beantworten kann, sondern das man am besten es beantworten kann. (betont das besten)
Das man diesen Schatz der Eigenwahrnehmung und der Selbstwahrnehmung und Selbsterforschung, das der der uns eine absolute, professionelle wirklich qualitative Grundlage gibt, um die Antwort zu finden.

C. E.:

Und die kann dir niemand abnehmen, denn sonst würde es ja so sein, dass der Feldenkrais-Lehrer noch ein weiteres Konzept hinzufügt.

GP 9:

Ja eben, was ja auch manchmal passiert. (lacht)

C. E.:

Ich glaube nicht, das Mosché das gewollt hat.

GP 9:

Überhaupt nicht. Mosché wurde ja lektoriert und er hatte einfach kein Interesse an Vorverdautem. Die Leute sollen selbst kauen.

(…)

4. Improvisieren und Forschen

C. E.:

Du hast mir ja am Telefon erzählt, dass für dich Feldenkrais auch so viel mit Improvisation zu tun hat. Vielleicht können wir uns da noch ein wenig drüber unterhalten. Feldenkrais selber benutzt das Wort Improvisation ja gar nicht.

GP 9:

Ich glaube für ihn wäre das dasselbe gewesen, wie erforschen. Ich glaube er würde den Feldenkrais-Prozess als Forschungsprozess ansehen und um zu forschen musst du das gleiche können oder tun, oder die gleichen Offenheit  oder die gleiche Stimmung haben, die Bereitschaft wirklich nicht das Alte, sondern das Neue finden zu können, das ist das gleiche, wie Improvisation. Ich weiß nicht mehr, was ich dir am Telefon erzählt habe, aber ich  empfinde jede Stunde eigentlich  – und deswegen entwickele ich auch immer neue Stunden. Und deswegen ist es mir auch – ich will das gar nicht so abtun, dass man nicht immer die gleiche Stunde unterrichten kann,  aber ich mache es halt nicht so. Ich habe so eine Idee, was ich arbeiten will, und das gucke ich mal. Also von mir als Lehrende aus gesehen ist diese Stunde eine Improvisation auf ein Thema. Und für die Schüler und Studenten und Studentinnen ist es eben auch. Also ich mache das ja so, dass ich am Anfang von einer Stunde und das habe ich erst in der Hochschule gemacht, und zwar aus Gründen, das ich wollte, dass die selbst in die Gänge kommen. Das sie selbst es ergreifen und wissen, sie können mit dem Material arbeiten. Und dann habe ich irgendwann angefangen und das habe ich in meine privaten Gruppen auch übernommen: Die kommen rein, legen sich hin, und machen 10 oder 15 Minuten eine eigene kleine Arbeit, einen eigenen kleinen Prozess mit sich selbst. Das läuft so ab, also ich leite das am Anfang an, aber dann können die das, … Also der Effekt ist, um das nur vorweg zu nehmen, ist, dass es nicht so ist, dass ich die nach drei Jahren irgendwo im Theater treffe und dann sagen sie: Ach hätte ich mir doch nur was aufgeschrieben. Also ich weiß gar nicht mehr und ich würde doch so gerne. Also, das habe ich überhaupt nicht mehr. Alle wissen, sie können, wenn sie ein Stück Boden zur Verfügung haben, oder einen Stuhl, das geht ja auch … Was können sie: Die beiden wichtigen Fragen stellen, das sind die Grundlagen und die sind: Halte ich gerade die Luft an und was mache ich mit meinem Kiefer. Also, das begleitet das erst mal wie zwei rote Fäden. Also, da können wir auch drüber reden, warum ich das so wichtig finde, aber das kannst du dir auch denken. Und die kommen also rein, legen sich hin und spüren sich durch auf die Art und Weise – also ich bringe denen das schon bei und mache ihnen Vorschläge und so. Das machen sie dann alleine und überprüfen, wie weit ihnen das überhaupt gelingt. Und wissen, wenn ich später dann mit ihnen mache, worauf sie hören, wo sie hängen geblieben sind. Und dann ist die Anweisung: Was kommt von der letzten Stunde, oder von der vorletzten, oder wann auch immer, was kommt euch entgegen. Weil die Grundannahme ist, und das ist meine eigene Erfahrung, das was wichtig war, da kommt schon was. Und wenn nix kommt, es ist ja auch keine Prüfung, sage ich dann immer, dann sollen sie einfach mal so gucken, was so im Raum da ist. Und dann plötzlich haben sie eine Idee und dann arbeiten sie das nach den Lernprinzipien von Feldenkrais, außer sie wollen einseitig arbeiten. Aber sonst haben sie die neutrale Lage und sie machen einen Prozess, also nicht eine ganze Stunde, sondern so eine Bewegung, die interessant scheint, rausnehmen, dann damit arbeiten und dann überprüfen, links rechts, die andere Seite noch mal überprüfen und dann aufstehen. Und dann A habe ich vorbereitete Studenten oder Schüler. Die sind wach. Dann  ist diese Haltung, die teilweise wirklich mit rein kommt in die Gruppen, Ach Anna nun mach mal. Es geht mir immer so gut bei dir. Also sie sind befähigt, also sie lernen immer mehr, was für ein Potential, was für einen Schatz sie haben an Eigenwahrnehmungsfähigkeit sie haben, um wirklich was zu bewirken. Sie lernen, dass sie durch die eigene Arbeit Wirkung erzielen. Alles hat Wirkung und ihre Arbeit auch. Und das merken sie und das ist mir wichtig. Und das, was sie da machen, ist eigentlich eine Improvisation über ein Thema. Ok. Sie erinnern sich an ein Thema und in der letzten Stunde haben sie damit gearbeitet, und Manche halten sich genau, sie können gut choreografisch denken, und Manche machen auch ganz interessante neue Geschichten damit, die ich dann wieder aufnehmen kann für den Unterricht.  War das das, was ich dir am Telefon erzählt habe?

C. E.:

Nee, aber das ist trotzdem interessant. Ich glaube, bei mir war das so ähnlich, als ich mit Feldenkrais angefangen habe. Also, meine erste Erfahrung war sehr negativ, da habe ich gedacht, dass ich das nie wieder mache. Aber dann, wurde es an der Hochschule angeboten und ich bin da so ein Mal in der Woche hin. Und ich erinnere mich, dass ich dann immer zu Hause weiter gemacht habe.

GP 9:

Ja, aber das bist eben du.

C. E.:

Für mich war das ganz klar, dass ich mich jeden Tag auf den Boden lege und dass das dann integriert wird. Und ich war dann immer ganz neugierig, was in der nächsten Woche dann weiter passiert.

GP 9:

Denkst du, dass das aus deiner Situation als Musikerin heraus kam, dass du wusstest, dass man mit dem Material irgendwie weiter arbeiten kann und einfach auch etwas üben kann?

C. E.:

Das kann schon sein. Aber ich beobachte bei den Studenten, dass die schon so viel ihre Instrumente üben müssen, teilweise bis zu acht Stunden am Tag, dass im Hirn überhaupt nichts mehr frei ist. Und wenn die mich fragen, ob sie was zu Hause machen sollen, dann erzähle ich ihnen nur, wie ich das gemacht habe. Ich habe mir dann nämlich auch die Stunden aufgeschrieben. Ich habe das auch nicht vorgekaut gekriegt als MP3 im Internet oder so.

GP 9:

Das sage ich denen auch: Protokoll führen.

 

(…)

5. Parallelen zwischen Feldenkrais und Improvisation

GP 9:

Ein großer Teil der Improvisation, so wie ich das sehe, ist derjenige, der da improvisiert. Und das ist genauso wichtig, wie die Elemente, die man vielleicht aus der Erinnerung dazu nimmt, oder die im Raum auftauchen.

C. E.:

Wobei es natürlich schon sein kann, wenn ich selber jetzt in irgendeiner Stimmung bin. Vielleicht verschlafen oder traurig oder so und die Stimmung um mich herum ist ganz anders, dann ist es vielleicht auch so, dass ich sehr schnell aus meiner eigenen Hängepartie da rauskommen kann und in eine andere Stimmung herein.

GP 9:

Das gehört aber dazu, dass du offen bist. Es ist deine eigene Stimmung, die Stimmung im Raum, die Stimmung der Anderen, die im Raum sich befinden und mit dir improvisieren. Das sind alles Elemente, die diese Unwägbarkeit des Ergebnisses mit bestimmen.
In der Musik ist es ja wie in der Bewegung. Du kreierst  ein Stück. Du komponierst es ja in dem Moment. Feldenkrais ist eigentlich wie so ein Zwischending. Es ist nicht so eine Choreografie wie im Tai Chi oder so eine Tanzchoreografie, dass du das quasi übernimmst und dann das Beste draus machst, das du dich zur Verfügung stellst, aber es ist auch nicht, du kriierst nicht die Stunde, außer es ist der Anfang, wo sie ihre eigene Viertelstunde kreieren. Aber eigentlich ist die Feldenkrais-Arbeit so ein Zwitter. Du kriegst quasi eine Form, du kriegst Vorschläge, Angebote, aber dir wird nicht gesagt innerhalb – du hast große Freiheiten.

C. E.:

Ja, und du musst ja selber rausfinden, wie es geht. Wie die Constrains sind. Und da finde ich die Alexander-Yanai-Lektionen auch gar nicht schlecht. Da kann ich die Leute so richtig verknoten und man kann was rausfinden, was man vorher noch nicht gemacht hat.

GP 9:

Die sind ja auch nicht unbedingt schlecht. Nur, wenn man denkt, das das jetzt das Non plus Ultra ist. Auch da ist es ja nicht die Bewegung, sondern die Aufgaben und die Auseinandersetzung mit der Aufgabe.
Und in der Improvisation ist das ja auch so, dass man den Leuten ein Material gibt und die Leute durch die Auseinandersetzung mit dem Material dazu bringt, dass sie irgendwie da ankommen. Und bei den Schauspielern ist das oft das Problem, wenn die denken, dass alles erlaubt ist, dass sie irgendetwas machen, was überhaupt nicht stimmig ist, dass sie irgendetwas herbeiziehen. An den Haaren herbeigezogen und das stimmt hinten und vorne nicht, weil es nicht das ist, was der Moment verlangt. Und ich mache z.B. neben der Tai-Chi-Form auch immer das eigene Tai Chi. Und das geht dann so: Wir gehen, wie im Tai Chi langsam eben und – das ist ja diese Entschleunigung. Und dann Abwarten, was entstehen will. Und das größte Problem bei der Arbeit ist, dass die Leute, vor allem die Schauspieler, die haben ja immer Ideen und so, dass sie sich was ausdenken. Und ihnen die Sicherheit zu geben, das das, was sie sich ausdenken können, zwar sicher interessant ist, aber aber bei weitem nicht so spannend, wie das was da entsteht, wenn sie riskieren, das nichts passiert. Bei weitem nicht. Und das finde ich immer wieder das Schwierigste, in der Anleitung, ihnen das einfach mal erfahrbar zu machen. Wenn sie das einmal erfahren haben, was für spannende Dialoge auch mit Anderen im Raum  entstehen, wenn sie nicht sagen: Oh ich mache jetzt mal so eine Bewegung, oder so eine, Also, die machen ja interessante Sachen, aber das ist Alles produziert. Also das ist wirklich spannend, was die dann auch sagen und wenn sie erfahren: Oh Mensch, ich muss mir gar nichts ausdenken. Es ist schon so viel da im Raum. Und diesen Prozess finde ich für die Kunst und eigentlich auch für das Leben das Grundlegendste. Dass sie das Vertrauen haben, das klingt so komisch, das sie das erfahrbare Wissen haben: Ich muss nicht hektisch was produzieren. Ich kann mich darauf verlassen, dass der Raum voll ist von Bewegungen, die ausgeführt werden wollen, durch mich, oder durch meinen Nachbarn. Und das die schon im rechten Moment auf mich treffen. In dem Sinne: Der Raum ist voller Antworten. Man muss nur die Fragen stellen und diese Offenheit haben, dass man sagt: Ok., was will denn jetzt wirklich passieren? Wenn ich vor einem Baum stehe, haben sich meine Arme völlig anders, wie wenn ich vor der Wand stehe. Wenn ein anderer Mensch vor mir ist, der gerade eine runde Bewegung macht, habe ich ganz andere Impulse, wie wenn jemand vor mir eine ganz zackige, schnelle  Bewegung macht. Und darauf zu vertrauen, dass das in meinem System eine andere Reaktion gibt, das ist spannend. Und ich mache ja auch immer mit und es ist dann zu merken, wie das stimmig ist, interessanter, oder auch größer und tiefer. Da gibt es unterschiedliche Färbungen, als das, was ich mir in meinem kleinsten Mind mit meiner alten Geschichte  und meinen Konzepten ausdenken kann. Und das finde ich spannend.

C. E.:

Das ist in der Musik natürlich auch so. Da hat man mit Klischees zu tun oder auch technischen Raffinessen.

GP 9:

Aber ehrlich mal: dann kannst du doch die Improvisation in der Pfeife rauchen. Nicht weil die schlecht wären, sondern weil sie ausgedacht sind und gestelzt und gestemmt. Und das ist ja auch erst mal ok. Das ist halt ein Teil des Prozesses. Aber das hat irgendwie mit Demut zu tun. Dass man sich von der Last, von der Idee entlastet, man könnte nur, wenn man besonders gut ist, könnte man es gut bringen. Und Improvisation, wie du es verstehst und wie ich es auch verstehe ist doch, dass die Person, die da improvisiert ein Teil der Improvisation ist und dass das genauso wichtig ist, wie die Elemente, die man vielleicht aus der Erinnerung heraus dazu nimmt.

C. E.:

Und wenn ich jetzt mal denke: Wie gehen wir denn beim Feldenkrais damit um? Da ist es doch so, dass wir die Leute in so ungewohnte Kontexte bringen, dass sie sich gar nicht mehr auf die gewohnte Weise etwas ausdenken können.

GP 9:

Ja genau. Man chaotisiert sie eigentlich.

C. E.:

Und meine Auffassung ist, dass das bei Improvisationsaufgaben genauso passieren muss.

GP 9:

Ja genau.

Im Folgenden zitiere ich aus den sieben Tagen von Stockhausen Richtige dauern und die Aufgabe im Rhythmus der Schwingung der kleinsten Teilchen zu spielen.

GP 9:

Aber das ist doch genau das Entscheidene. Das ist der Prozess und eigentlich auch das Leben, worum es geht. Und das ist so schön, wenn man Leute da hin begleiten kann, dass sie so Kunst machen. Und ich kann gar nicht verstehen, warum es so viele Musiker gibt, die nie sich selber kreativ etwas ausgedacht haben. Und so länger ich darüber nachdenke, umso eigenartiger kommt mir das vor, dass die so gut sein können.

C. E.:

Das ist natürlich auch in unserem Kulturkreis extrem.

GP 9:

Ja, wenn ich meinen afrikanischen Tänzer denke. Die kommen mit den Trommeln und die hören wirklich immer aufeinander. Die haben zwar auch gewisse Abläufe, aber aber die Art, wie die aufeinander Hören. Die haben ja die Tradition gar nicht, dass man so ein Vorgebenes Stück immer so spielt.

(…)

6. Körperarbeit mit Musikern

GP 9:

Für mich ist es so, dass es wirklich schwierigere Fälle gibt, wie diese Probleme, die Musiker oft haben. So eine Pianistin, wo ich denke: Warum muss die seit Jahren mit Schmerzen spielen. Warum kriegt sie nicht mal einen Hinweis? Es ist doch ganz klar, dass sie so Schmerzen hat. Eigentlich müsste in so einem Leistungsberuf, wo es ja auch körperliche Leistung ist, doch ganz selbstverständlich Angebote sein, wo die Leute lernen, wie sie mit sich umgehen  und mit ihrem Instrument. So mit ihrem Instrument, was dieses Instrument zu leiten und zu führen hat. Dieses zusätzliche Gewicht, diese zusätzliche Haltung, die sie sonst nicht hätten, wenn das Instrument nicht so wär. Und das das immer noch so ist, das finde ich wirklich frappierend. (…) Und die Instrumentallehrer müssten, vor allem wie die Leute ja heut zu tage schon von vorne herein Rückenprobleme haben, – also, die müssen ja gar nicht ein Instrument üben, aber es wird ja nicht besser dadurch –  die müssten eine Grundausbildung haben. Oder zu mindestens rechtzeitig erkennen, du geh mal wohin, wenn sie es nicht selber können. Deshalb habe ich immer die Hoffnung, wenn ich mit Musikern arbeite, wenn die dann selbst auch unterrichten, dass die dann wenigstens ein paar Grundlagen mit einbauen.

C. E.:

Meine Hoffnung ist das auch. Ich hoffe auch immer, dass gerade Musikschullehrer, die dann so kleine Kinder unterrichten, da etwas mitnehmen. Es ist doch krank, wenn man die Kinder in so eingeklemmte Haltungen vor den Notenständer stellt. Die sind ja noch so beweglich.

GP 9:

Ja, das ist wirklich krank. Und so was, wie diese Pianistin, das die sich so  quält. Und dann kriegt sie gesagt, sie muss Muskelaufbau machen. Dann geht sie ins Kiesertraining, verkrampft sich noch mehr.

 

(…)

7. Gewohnheiten verändern

Zusammenfassung

Ich erzähle von meinen eigenen Erfahrungen mit der F-M, bei denen ich starke Verwirrungen im Bezug auf meine Spieltechnik erlebt hatte.

C. E.:

Ich finde das wahnsinnig schwer so Feldenkrais zu unterrichten, dass das nicht passiert.

GP 9:

Ich glaube, dass das gar nicht möglich ist. In dem Moment, wenn ein starkes Muster sich auflöst, wird es immer Verunsicherung geben. Und wenn diese Muster mit dem Instrument zu tun haben, wirkt sich das auf dein Spiel aus. (…) Und das ist dann ja auch mit Ängsten besetzt: (…) Mosché hat immer gesagt: Wenn das alte Haus, auch wenn das neue schon in Sichtweite steht, schon neu bemalt und alles dicht ist – alles wunderbar, und im Alten, da leckt es, es tropft durchs Dach, durch die Fenster zieht es, die Dielen knarren und die Tür schließt nicht – aber irgendwie ist es trotzdem schwer, das alte Haus zu verlassen. Man möchte noch mal eine Nacht gerne da verbringen. Man weiß, wo man den Eimer hinstellt, damit das Tropfen aufgefangen wird und man weiß auch, wo man die Decke vor die Tür legen muss. Man kennt sich da einfach aus. Und auch, wenn das da schon sehr verlockend steht, das neue Haus. Irgendwie möchte man noch ein bisschen im Alten bleiben.

 

(…)

8. Der Zustand des „Nicht-Wissens“

GP 9:

Mosché war eigentlich ein hervorragender Improvisator. Der war sich einfach sicher, dass sich was entwickeln wird. Und das, wenn er nur wach ist und seine ganzen Werkzeuge zur Verfügung stellt, die vor allem aus Forschen, Beobachten, Schauen bestanden, das es schon genügt, das er mit seinen Werkzeugen und seinen Wahrnehmungsfähigkeiten  – das das genügt, um so eine Ausbildung – das ist natürlich ein unglaubliches Selbstvertrauen, und auch ein Wissen – das genug da ist, und alles andere wird sich daraus entwickeln und darauf aufbauen. Und das hat natürlich auch was von sich kennen und persönlicher Reife zu tun, mit Erfahrung und keine Angst haben vor der Ungewissheit. Und viele Leute brauchen einfach, und das kann man gar nicht verurteilen, ein Konzept. Du kannst ja auch niemandem sagen, wenn du mal nicht weiter weißt, dann hockst oder stellst du dich hin und sagst: Du jetzt habe ich vergessen, was ich als nächstes machen wollte. Und dies Vertrauen und die Gewissheit, dass das so tief menschlich auch ist, das niemand aus der Gruppe, außer er ist fies oder so: Ätsch, du kannst ja nix. Du bist kein guter Lehrer oder kein guter Musiker oder so. Sondern, das eigentlich indem man sich erlaubt in diesem Zustand des Nichtwissens zu sein, das es dadurch anderen auch erlaubt menschlich zu sein und nicht zu wissen. Also, wie kann ein Feldenkrais-Lehrer so tun, als wenn er die Weisheit gefressen hat, und dann von seinen Leuten erwarten, dass sie in die Unsicherheit und in das Risiko rein gehen. Eigentlich ist das weder fair, noch funktioniert es. Und wenn mir in einem offenen Unterricht jemand sagt: ne, bei mir ist das nicht so, dann  nehme ich das als Kompliment. Da wagt sich jemand zu sagen: bei mir ist das nicht so. Das ist offenbar eine Situation, wo er sich das erlauben kann. Und wie bringt man jemandem bei, das man sagen kann: Ja das stimmt, bei dir ist es anders. Ich weiß jetzt auch nicht genau. Gucken wir mal. Und das hatte der Mosché natürlich non plus ultramäßig. Der war einfach sich seiner Selbst sehr, sehr sicher.

C. E.:

Ja und er hat ja gerade diese speziellen Fälle dann auseinander genommen. Teilweise auch vorgeführt. Aber auf so eine Weise, das alle was davon lernen.  Und dann ist ja auch die Frage, wie stelle ich eine Frage. Stelle ich die Frage so, dass ich jetzt das Gefühl habe, dass es falsch ist, oder stelle ich die Frage so, dass alle etwas davon lernen können.

GP 9:

Ja, genau. Und dann war er natürlich klug genug zu erkennen, dass es dann Leute gibt, die erkennen, auch hier ist Fragen angesagt. Dann stellen die die blödesten Fragen. Obwohl er sagt, und das würde ich auch sagen: Es gibt keine blöde Fragen. Und dann gibt es Fragen, die sind deswegen blöd, weil die Leute aus einem total aufgeblasenen Ego heraus erkannt haben, dass hier blöde Fragen irgendwie gewollt sind. Und dann so bescheuert fragen, nämlich Fragen stellen, die weder was mit der Situation noch mit ihnen, noch mit irgendwas zu tun haben, außer dass es sie in den Vordergrund rückt. Und dann hat er natürlich, und das haben ihm Leute sehr negativ angerechnet, — wach morgen auf, oder trink mal was … also da war er ziemlich harsch. Aber nicht weil die Frage wirklich eine Frage war. Das war ein sich in den Vordergrund spielen oder so eine Kurzschlussreaktion, ach blöde Fragen kann man hier stellen. Wie könnte ich denn eine blöde Frage stellen. Verstehst du. (…) Silly questions sind nämlich nicht blöd. Die kommen wirklich aus einem Nichtwissen heraus. Und wenn jemand eine silly question produziert hat, so ich will jetzt eine gute silly question produzieren, dann hat er den fertig gemacht. Aus gutem Grund. Der hatte keine Zeit sich mit aufgeblähten Egos abzugeben. Der hatte selbst ein großes Ego, aber zu mindestens war da Substanz dahinter.

(…)

Ich erinnere mich noch an die erste Frage, die er uns gestellt hat. Er hat gefragt: Warum glaubt ihr, seit ihr hier? Und dann hat er gesagt: Weil du „dignity“ für dich haben willst. Und damit hat er schon mal ganz klar seinen Unterrichtsgegenstand dargestellt. Er hat nicht gesagt: damit ihr das oder das besser könnt, oder damit ihr keine Schmerzen habt oder damit ihr besser leben könnt oder damit es leichter wird, sondern er ist auf den Punkt gegangen.

 

 

 

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