Versuchsanordnung 12: V12 (Rhythmisches Atmen)

Vorbemerkung

In dieser Übung wird der Atemvorgang in vier Abschnitte unterteilt: Einatmen, Pause, Ausatmen und Pause. Durch starke, künstliche Vorgaben in Bezug auf die Länge der jeweiligen Phasen wurden die Gewohnheiten im Atemrhythmus deutlicher. Diese haben automatisch auch einen Bezug zur Länge und Spannung musikalischer Phrasen. Die Idee dazu stammt aus einer Serie von Feldenkrais-Lektionen, bei denen es um das rhythmische Atmen geht.[1]

 

Zum erleichterten Ausprobieren finden Sie hier eine  vorbereitende Feldenkrais-Lektion:

 

 Experimentieranweisung [2]

1 Beobachten Sie Ihren natürlichen Atem. In welchem Verhältnis stehen die Länge der Einatmung und Ausatmung zueinander? Beginnt die Atmung sich zu verändern, während Sie sie beobachten?

2 Lenken Sie die Aufmerksamkeit auch auf die Pausen im Atemrhythmus.

3 Legen Sie eine Hand flach auf den Oberschenkel oder auf Ihr Instrument, je nachdem, wie es bequem ist, und tappen mit den Fingern. Sie heben den Daumen, dann den Zeigefinger, dann den Mittelfinger, den Ringfinger und dann den kleinen Finger und beginnen dann wieder bei dem Daumen. Experimentieren Sie mit dem Tempo, bis es gleichmäßig und angenehm wird.

4 Koordinieren Sie die Länge der Ausatmung zu der Bewegung der Finger. Ein Durchgang von Fingerbewegungen (mit Daumen, Zeigefinger, Mittelfinger, Ringfinger, kleinem Finger) soll dabei die Zeitdauer einer Ausatmung haben. Beobachten Sie, ob Sie das Tempo der Finger angleichen oder das Tempo der Atmung.

5 Fahren Sie damit fort und gleichen auch die Einatmung an. Sie sollte – wie die Ausatmung – genauso lang dauern wie ein Durchgang mit allen Fingerbewegungen.

6 Gleichen Sie jetzt die beiden Pausen an, sodass alle vier Phasen der Atmung gleich lang sind.

7 Singen oder spielen Sie während der Ausatmung fünf Töne und sorgen Sie mit Hilfe der Fingerbewegungen dafür, dass die anderen Atemphasen gleich lang sind.

8 Singen oder spielen Sie während der Ausatmung immer noch in den fünf Schlägen kleine Phrasen mit interessanten Rhythmen und Spannungskurven. Die anderen Atemphasen bleiben dabei gleichlang. Sie sind in der Ausatmung von der Länge sehr beschränkt. Können Sie in den fünf Schlägen etwas Sinnvolles unterbringen oder ist das ein Gefühl wie im Gefängnis, weil Sie eigentlich mehr Zeit bräuchten?

9 Wir verlassen jetzt das Gefängnis etwas. Sie dürfen jetzt in der Ausatmung Phrasen spielen, die in der Länge ganz frei sind. Aber behalten Sie in den anderen Atemphasen immer noch die Länge mit den Fingerbewegungen bei.

10 Für den Fall, dass Sie kein Blasinstrument spielen, können Sie jetzt auch in der Einatmung beginnen, zunächst auf fünf Schlägen eine Phrase zu spielen und dann auch mit freier Länge.

11 Spielen Sie während der Ausatmung und ggf. auch der Einatmung Phrasen in unterschiedlichster Länge. Die Pausen dazwischen sind jetzt auch frei, aber versuchen Sie immer noch, den gesamten Atemzyklus mit den Pausen zu empfinden und zu denken.

12 Freie Improvisation mit der Konzentration auf die Möglichkeiten der Länge der Phrasen.

13 Mögliche Variation für Streicher: Spielen Sie eine leere Saite mit dem ganzen Bogen und machen Sie die Fingerbewegungen mit der linken Hand auf dem Korpus des Instrumentes. Dann singen Sie zu ihrer leeren Saite wie oben vorgeschlagen bei der Ausatmung. Lassen Sie dies dann langsam in der Länge freier werden. Wenn sie an den Punkt gelangt sind, an dem die Atemphasen alle in der Länge frei sind, beginnen Sie eine Improvisation mit Stimme und Instrument. Beobachten Sie dabei die Atmung.

Anmerkung für Gruppen: Man kann diese Übung auch in der Gruppe durchführen. Dabei muss sich die ganze Gruppe auf ein Tempo einigen. Dann spielt reihum jeder Spieler in der Ausatemphase Phrasen auf fünf Schläge. Die Spieler, die gerade nicht spielen, versuchen zu spüren, wie sie beim Zuhören atmen. Sobald die Phrasenlänge frei ist, wird es schwer sein, den Ablauf perfekt zu synchronisieren. Hier kann man einfach die Aufgabe stellen, dass die Hörer die Spannung, die in der gespielten Phrase enthalten ist, in ihrer eigenen Atmung spüren können. Die Spannung in der Atmung ist ein wesentliches Kommunikationsmittel im Zusammenspiel. Es geht nicht so sehr um die Frage, ob man beim Ausatmen oder Einatmen spielt, sondern um die Kongruenz von Zwerchfellspannung und Phrasenspannung. Beim Zusammenspiel im Ensemble muss die Atmung der Spieler manchmal synchron und manchmal individuell sein.

Anmerkung: In der Feldenkrais-Lektion besteht eine Einheit aus nur vier Fingerbewegungen. Durch die Benutzung von fünf Fingern spielt man automatisch in ungewohnteren Gruppierungen. Es ist empfehlenswert, auch andere Anzahlen von Tappern zu verwenden oder auch Fingerkombinationen (z. B. 13524). Diese könnten auch rhythmisiert sein.

In einem Experiment gab es auf Anregung der Teilnehmer die Erweiterung, in den beiden Pausen zu spielen. Die Sängerin und die Blockflötistin haben sich eine musikalische Äußerung vorgestellt und eine tänzerische Bewegung dazu gemacht.

 

[1]      Die Idee für diese Anwendung auf das Musizieren ist inspiriert von den Alexander-Yanai-Lektionen Nr. 180, S. 1215 f; 186, S. 1259 f; 187, S. 1265 f. In:

Feldenkrais Mosché. 1997. Alexander Yanai Lessons Volume 4 Part b. Paris: International Feldenkrais Federation in cooperation with The Feldenkrais Institute, Tel Aviv.

 

[2] Die folgende Experimentieranweisung wurde übernommen aus: Eikmeier, Corinna. 2010. Ungewohnte Positionen – Ein praktischer Beitrag zur Anwendung der Feldenkrais-Methode auf musikalische Improvisation. Fernwald: Musikautorenverlag Burkard Muth, S. 82 f.