Versuchsanordnung 09: V9 (der Motor)

Jeder Mensch entwickelt Gewohnheiten, um eine Bewegung in Gang zu setzen. Man stelle sich beispielsweise vor, nach einem auf dem Tisch befindlichen Gegenstand greifen zu wollen. An diese relativ einfache Überlegung knüpfen sich a priori gleich zwei Fragen: Wo beginnt die Bewegung? Gibt es eine muskuläre Vorbereitung, bevor sich die Hand und der Arm in die gewünschte Richtung bewegen? Wurde die Bewegung dann ausgeführt, gilt es, diese zu hinterfragen: Hat die Hand geführt, der Ellenbogen oder der ganze Arm? Oder wurde die Bewegung primär von der Schulter gesteuert? Hat sich evtl. die Wirbelsäule an einer Stelle ein wenig gedreht, bevor sich die Hand bewegt hat oder erfolgte eine Bewegung im Becken? Genau dieses Spiel mit dem Beginn einer Bewegung wird in der Feldenkrais-Methode thematisiert. Die Aufgabe könnte dann folgendermaßen lauten: Variieren Sie den Beginn der Bewegung und beobachten Sie, wie sich das Gefühl verändert. Welche Option ist am leichtesten? Welche kommt Ihnen bekannt vor?

Aufgaben können aber auch absurde Anweisungen enthalten, wie z. B. nach einem imaginären Gegenstand greifen und die Bewegung vom linken Ohrläppchen beginnen lassen. Herauszufinden wäre in diesem Fall, wie sich die Qualität der Armbewegung verändert. Ziel einer solchen Aufgabe ist nicht primär die Greifbewegung selbst, sondern die Umlenkung der Aufmerksamkeit von der eigentlichen Handlung auf einen womöglich zuvor scheinbar unbedeutenden Teil des Ich-Bildes, das dadurch neue Facetten erhält und auf unerwartete Weise vervollständigt wird.

In den Experimenten konnten sich die Versuchspersonen Körperteile aussuchen, von denen aus sie ihre Bewegungen steuerten. Teilweise waren es proximale Regionen wie Becken, Bauchnabel oder Lendenwirbelsäule, teilweise aber auch distale, schwerer zugängliche Körperteile wie Ohrläppchen oder kleine Zehen. Körperteile, die direkt mit den Spielbewegungen verbunden sind (Finger, Arme, Schultern), wurden ausgeschlossen. Nun ist es offensichtlich deutlich schwieriger, einen Akkord am Klavier vom Ohrläppchen aus anzuschlagen. Aber genau dieser Gedanke sollte die Teilnehmer inspirieren.

Die Aufgabenstellung bestand darin, die Impulse für die musikalischen Aktionen aus dem Gefühl des gewählten Körperteils und damit auch aus den Bewegungsmöglichkeiten anzustoßen. Streng genommen bedeutet dies, dass eine Improvisation, die von einem „schlafenden“ kleinen Zeh gesteuert wird nur aus sehr wenigen Tönen bestehen kann.[1]

[1]      Vgl. ausführliche Beschreibung in:

Eikmeier, Corinna. 2010. Ungewohnte Positionen – Ein praktischer Beitrag zur Anwendung der Feldenkrais-Methode auf musikalische Improvisation. Fernwald: Musikautorenverlag Burkard Muth, S. 43.