Experiment 1 Protokoll

Datum: 26.03.2012

Dauer des Experimentes: 2,5 Std.

Zur Person: VP 1

Geschlecht: weiblich

Alter: Erwachsen

Instrument: Gesang

Vorerfahrung und Vorüberlegungen

VP 1 hat Klavier und Gesang studiert. Sie nahm ca. 10 Jahre regelmäßig an meinen Feldenkrais-Seminaren teil. Derzeit  ist sie an der Oper beschäftigt. Einige Wochen vor dem Experiment haben wir in einer Feldenkrais-Einzelstunde das Thema Ausdruck und Körpergefühl behandelt. VP 1 äußerte den Wunsch, weiter zu erforschen, wie sie einen lebendigen Zugang zu ihren Emotionen auf der künstlerischen Ebene finden könnte. Sie suchte nach Möglichkeiten, Gefühle zum einen mit dem ganzen Körper ausdrücken zu können und zum anderen sich damit nicht im Wege zu stehen. Mir fiel auf, dass sie die Körperspannung für eine bestimmte Passage künstlich herstellte, ohne die dazu gehörenden emotionalen Spannungsfelder in dem Moment zu spüren  und dass dadurch nicht die Unmittelbarkeit im Ausdruck möglich war.

Diese Beobachtung wurde zum Ausgangspunkt für das  Experiment.

Ich war an der Frage nach Zusammenhängen zwischen muskulärer Kontrolle und authentischem, unmittelbarem Ausdruck interessiert und war neugierig, welche Erkenntnisse sie in Bezug auf ihr Thema gewinnen würde, wenn ich sie durch Interventionen daran hindere, ihren Ausdruck durch körperliche Voreinstellungen unter Kontrolle zu bekommen.

Beim Improvisieren sind Hören, emotionale Befindlichkeit und das Körpergefühl so im gegenwärtigen Moment miteinander verbunden, dass die gewohnten Strategien von VP 1 durch die Aufgabenstellungen möglicherweise nicht mehr greifen würden.

Protokoll

Vorgespräch

Phase 1

Phase 2

Phase 3

Phase 4

Phase 5

Phase 6

Phase 7

Vorgespräch

VP1:

Also mich beschäftigt das auch, dass ich immer darüber nachdenke, in wieweit zu einem Gefühlsausdruck auch eine gewisse Körpersprache gehört. Und wenn ich z. B. in einer Oper das Beispiel – es gibt so eine Stelle in La Traviata, da muss ich – so ein bisschen unterwürfig, so eher leise – si perdonate – ja Verzeihung sagen. Und es muss sehr, sehr leise und sehr, sehr zart sein, und ich muss mir dafür immer vornehmen, dass ich möglichst locker und frei stehe, damit die Stimme wirklich fein anspricht. Und ich ertappe mich aber immer wieder dabei, dass ich mit meinen Schultern, wenn ich das dann singe, so nach vorne gehe und fast in so eine Art unterwürfige Haltung – so ja Verzeihung. Kann man sich ja vorstellen, wenn man so ein bisschen nach vorne einsackt. Und jedes Mal nehme ich mir kurz vor dem Einsatz vor: Bleib ruhig stehen, bleib ruhig stehen und atme und singe. Und in irgendeinem kleinen Moment macht der Körper doch wieder diese Bewegung und hindert mich dann daran das so zu singen, wie ich eigentlich will.

C. E.:

Also, das klingt dann nicht so, wie du es haben willst?

VP 1:

Das ist dann auch schwer. Das könnte viel freier und  leichter sein, wenn ich einfach nicht diese körperliche Bewegung hätte. Das ist ja auch immer die Frage in meinem Beruf, mit Singen und Schauspielern gleichzeitig. Du hast eben bestimmte Bewegungsmuster für bestimmte Gefühle in deinem Körper eingeschrieben. Und das ist sehr schwer zu entkoppeln.

C. E.:

Hm, die Schauspieler lernen das ja auch, glaube ich, noch mehr. Ist ja auch die Frage: Muss man die entkoppeln oder muss man sie spielen?

VP 1:

Ja, sicher, das ist die Frage.

C. E.:

Es ist ja die Frage, wenn du diese Haltung verstärken würdest, ob das nicht sogar den Ausdruck verstärken würde.

Das würde mich jetzt bei dir interessieren zu untersuchen –  wenn man jetzt ins Improvisieren geht, wenn man jetzt mit improvisatorischen Aufgaben anfängt… Es macht ja nicht so Sinn… Bei anderen, die schon Improvisationserfahrung haben, da kann ich einfach sagen: Komm wir improvisieren mal und dann ändern wir ein wenig die Bewegungen und gucken, was passiert. Und, ich glaube, bei dir ist es aber anders: Ich glaube, bei dir macht es wirklich Sinn, wenn wir uns mit kleinen Improvisationsaufgaben da nähern und dann kann man das mit den Bewegungen natürlich auch dazunehmen und beobachten, was sich verändert. So dass du auch an dieses Thema rankommst. Ich finde, es ist sehr nah auch an meinem Thema. Es geht ja darum, dass man beim Improvisieren ja noch gar nicht vorher weiß, was man für einen Ausdruck will. Sondern der kommt aus dem Körperlichen heraus auch. Das kann man gar nicht so trennen. Also, niemand, der improvisiert, nimmt sich vorher vor: Ich muss jetzt locker stehen.

VP 1:

Sondern man beginnt in so einer neutralen Position?

C. E.:

Ja, eher so eine neutrale Position. Das ist eben die Frage, wie man beginnt und was passiert, wenn man sich da auch tatsächlich mal Sachen vornimmt. Das wäre vielleicht interessant, wenn wir uns dem nähern. Und dann habe ich so gedacht, vielleicht improvisieren wir schon jetzt am Anfang erstmal. Wir können das auch zu zweit machen, denn dann bist du nicht so alleine. Und dann können wir uns von da vielleicht ein wenig da rantasten. (…)

 

Phase 1 : Drei freie Stücke mit dem Titel 1, 2, 3.

Vorgespräch

Bevor wir beginnen, äußert VP1 spontan:

Ich bin jetzt natürlich total aufgeregt.

C. E.:

Warum das denn? (Gelächter)

VP1:

Weil man mit so einer gewissen Erwartungshaltung  an sich in so was hineinspringt.

Anmerkung

Diese Reaktion ist nicht ungewöhnlich. Ich beobachte sie häufig bei Studierenden, die bei mir das Wahlpflichtfach Elementare Improvisation belegen. In Vorstellungsrunden zu Beginn des Seminars äußern viele Teilnehmer, dass sie Angst und Stress empfinden, wenn sie sich nicht mehr am Notentext festhalten können. Im Falle von VP1 zeigt es zudem, dass sie mit einem hohen künstlerischem Anspruch an sich in die Situation hineingeht.

1. Stück

Hörbeispiel: E1 Phase 1.1

2. Stück

Bei dem zweiten Stück beginne ich mit schnellen Pizzicato-Passagen. Ich lasse VP1 mehrere Einstiegsmöglichkeiten, aber sie kommt nicht, woraufhin ich einen Schluss finde. Sie äußert folgendes zur Kommunikation:

VP 1:

Das finde ich schwer mit dem Anfangen. Und ich finde es schwer, jemandem ins Wort zu fallen. Also komisch. Dabei macht man das beim Musizieren doch immer, dass man das miteinander macht und nicht den anderen immer erst ausreden lässt. Aber man will so höflich sein. (Gelächter) Ha, sehr interessant.

Anmerkung

Auffällig erscheint, dass VP1 schon bei ihrem ersten Improvisationsversuch etwas als schwierig benennt, was nichts mit ihren sängerischen Fähigkeiten zu tun hat. Fragen wie: „Wann steige ich ein? Verwende ich das gleiche oder anderes Material als meine Mitspieler?“  braucht sie sich in ihrer gewohnten Musizierpraxis nicht zu stellen. Das Thema Kommunikation tritt überraschend in den Vordergrund.

3. Stück:

Hörbeispiel: E1 Phase 1.3

Kommentar zur Musik

Das Stück ist sehr geräuschhaft.

Anmerkung

Ich knüpfe an das Thema Kommunikation nochmal an, weil ich selber in diesem Stück die Kommunikation schon als viel ausgewogener erlebt habe. Es erstaunt und erschreckt mich im ersten Moment etwas, dass VP1 sich auch hier eher gestresst fühlt. Die vorläufige Erkenntnis für mich ist, dass die fehlende Erfahrung mit den Kommunikationsmöglichkeiten in einer Improvisation gepaart mit dem künstlerischen Anspruch die Ursache sind. Die Einschätzung von VP1, dass sie sich nicht kreativ fühlt, untermauert dies, denn sie hat definitiv keine Erfahrung im kreativen Umgang mit Musik. Ihre Beschreibung, dass sie sich von den Gefühlen entkoppelt, könnte auch damit zusammen hängen, dass sie nicht gewohnt ist, aus dem Moment heraus eine Emotion in eine künstlerische Aktion zu verwandeln.

Aus dem Nachgespräch

C. E.:

Na, da war jetzt doch schon eine richtige gute Kommunikation.

VP1:

Ja, aber ich komme gerade tierisch in Stress.

C. E.:

Warum?

VP1:

Also, weil ich das Gefühl habe … also welches Gefühl bei mir dominierend ist, ist eine Angst davor, etwas falsch zu machen. Oder fast so eine Panik: O Gott oh Gott, was mache ich denn? Was kann ich denn für Farben machen mit der Stimme? Oder hm – hm – das wirft ziemlich viel Licht auch so auf Charaktereigenschaften oder Persönlichkeit. Das würde ich schon so sagen. Dass es so eine Zurückhaltung gibt. Ein Sich-nicht-Trauen. Verstehst du? Dass, wenn eine Idee kommt (…) so dieser erste Moment einer Idee, dass man  den sofort verwirft. Das kannst du doch jetzt nicht machen oder um Gotteswillen, wie soll ich das denn machen mit der Stimme. Und dann wird auf einmal das eigene Instrument einem fremd. Oder man denkt so: Zu Hause bist du da aber nicht. Das ist ganz komisch.

C. E.:

Na ja, du hast ja jetzt auch ganz andere Klänge benutzt, als du in der La Traviata benutzt. Wobei, du singst ja auch moderne Sachen. Da kommt das dann ja auch.

VP1:

Ja.

C. E.:

Aber du musst es dir halt nicht ausdenken.

VP1:

Nein.

C. E.:

Das steht da ja schon.

VP1:

Das ist auch interessant: Ich würde auch immer sagen, dass ich eigentlich ein unkreativer Mensch bin. Verstehst du? Dass ich gar nicht kreativ bin und manchmal geht das sogar so weit, dass ich sage: Ich bin eigentlich ein Legastheniker in der Musik. Ich kann das irgendwie lesen. Aber schreiben könnte ich nicht und ausdenken auch nicht. Das funktioniert nur in eine Richtung. Und das finde ich eigentlich total schade.

C. E.:

Aber das kann sich ja ändern. Das kann man ja lernen, so wie man alles andere auch lernen kann. Und was ich glaube, um noch mal auf dein Ausgangsproblem, na ja Problem… diese Frage mit dem, wie kriege ich den Ausdruck dann auch umgesetzt körperlich? Das ist ja – du musst es ja wirklich erfühlen. Das ist ja fast so, wie wenn du es selber produzierst.

VP1:

Ja, ich verstehe, was du meinst. Aber es ist ja auch häufig so, dass man sich von Gefühlen abschneidet. Also, wenn man mich fragen würde: Mit was für einem Gefühl singst du da eigentlich, dann würde ich sagen: Ja, mit gar keinem – oder so. Dabei ist es etwas ganz Gefühlvolles, aber irgendwie trennt man sich davon ab. Warum auch immer man das tut. Das weiß ich nicht.

 

Phase 2: Vom Geräusch zum Ton

Ich schlage vor, dass wir beide zwischen Geräuschklängen und „Ordinario-Klängen“ hin und her wechseln. Ich wollte wissen, ob durch den Fokus auf die Klanglichkeit diese ängstliche Spieleinstellung von VP1 sich verändern würde.

Hörbeispiel: E1 Phase 2

Aus dem Nachgespräch

VP 1:

Aber ich fühle mich irgendwie so begrenzt. (…) Z.B. hast du mich auf die Idee gebracht, als du sul ponti Cello gespielt hast – Ah, ich könnte ja auch irgend so ein Geräusch machen (schnalzt mit der Zunge und demonstriert Elemente aus body-percussion) oder so. Nicht nur meine zwei Stimmlippen als Instrument benutzen, sondern alles, meinen ganzen Körper.

Anmerkung

VP 1 bemerkt immer noch ein Defizit in ihrem Spiel. Durch die fokussierte Aufgabenstellung beginnt sie, ihre Möglichkeiten zu erweitern.

Phase 3: Laborraum 3

V 9 (Motor)

Wir lenken die Aufmerksamkeit bei jedem Stück auf ein anderes Körperteil und versuchen, die Impulse aus diesem Körperteil kommen zu lassen.

1. Stück: Ein Knie

Hörbeispiel: E1 Phase 3.1

Anmerkung

VP 1 fragt vorher nach dem Einsatz von Sprache. Sie baut hier viel mit Silben.

Wie von selbst

2. Stück: Das rechte Ohr

Hörbeispiel: E1 Phase 3.2

Aus dem Gespräch vor dem Stück

VP 1:

Da habe ich gar keinen Zugriff zu.

C. E.:

Dann wird es wahrscheinlich ganz still.

Aus dem Nachgespräch

C. E.:

Wie war das?

VP 1:

Toll. Das ist leichter. Was heißt leichter… das ist nicht richtig gesagt. Ich habe dann klarere Vorstellungen oder Phantasien oder so. Es schafft irgendwie ein gutes Verhältnis zum eigenen Körper. Was heißt ein gutes – aber es macht irgendwie was.

C. E.:

Aber was ist da leichter? Kannst du das noch mehr beschreiben?

VP 1:

Ich glaube, weil die Konzentration auf einen anderen Punkt im Körper gelenkt ist. Also, wenn ich normalerweise singe, dann denke ich körperlich an meinen Stand, dann denke ich an die Aufrichtung meines Brustkorbes, dann denke ich an die Lockerheit meines Kiefers, dann denke ich an all diese Dinge, die ganz basal mit dem Singen zu tun haben.  Dann würde ich nie auf die Idee kommen, an mein rechtes Ohr zu denken. Und diese Konzentration aber auf das rechte Ohr lässt alles andere alleine funktionieren. Und das tut es ja in der Regel ganz gut, wenn man  sich darauf einlässt.

 Das Gehörte aufnehmen

C. E.:

Ja, ja und das war eben eine super Kommunikation, die wir hatten.

VP 1:

Ja, weil man eben auch aufeinander hört. Das finde ich nämlich auch oft  … dachte ich auch … am – jemandem zuhören und das Gehörte aufnehmen ist ja noch etwas anderes als nur zu hören. Und oft ertappe ich mich z.B. auf der Bühne, schwere Stelle, oder schwierige Szene und man hört auf zuzuhören. Man ist so mit sich konzentriert, was man zu tun hat, dass man eigentlich die Musik aus dem Graben gar nicht mehr hört. Ohne Witz.

3. Stück: Impulse aus Kopfbewegungen

Hörbeispiel: E1 Phase 3.3

Selbstverständlichkeit in der Technik

4. Stück: Impulse vom Bauchnabel

Hörbeispiel: E1 Phase 3.4

Aus dem Nachgespräch

VP 1:

Das war toll!!!

C. E.:

Wie ist das Singe-Gefühl?

VP 1:

Also eben war ich total überrascht. Ich wusste gar nicht, dass ich einen langen Ton singen würde und einen so lauten. Ich hatte irgendwie das Gefühl… also ich atmete sehr tief ein, dachte an meinen Bauchnabel und dann hatte ich plötzlich was ganz Kraftvolles. Und daraus ergab sich für mich völlig überraschend dieser laute, tiefe, lange Ton. Und dann, während ich dann den Ton sang und du dann ja einstiegst mit dieser etwas bewegten Melodie da drüber so zu sagen, habe ich dann plötzlich gedacht: Wow, wahnsinnig, wie viel Luft ich habe. Der war relativ lang. Der fühlte sich echt… also, das was du beim Singen oft denkst… du musst an deine Rippen denken und breit halten, damit du genug Luft hast und – also ich hatte ein sehr stabiles, sehr körpermittiges Gefühl. Das war sensationell. Leider habe ich dann darüber nachgedacht und (Gelächter) und dann veränderte es sich ein bisschen. Aber im Grunde ist es mir gelungen, über diese Improvisation hinweg dieses Gefühl zu halten. Und das mochte ich ganz gerne.

Anmerkung

VP 1 scheint immer mehr in eine improvisatorische Handlungsweise zu kommen. Die Aufmerksamkeit wird auf ein Körperteil gelenkt. Daraus bekommt sie einen Impuls für die Einatmung und Körperspannung und verwandelt dies unmittelbar in Musik. Diese Aktion wird  nicht durchgeplant, sondern sie überrascht sich selber. Die sängerische Einstellung von weiten Rippen usw. kann sie einfach geschehen lassen und braucht ihre Technik nicht zu kontrollieren.

Phase 4: Laborraum 3

V 11 (Roboter)

Wir spielen drei Stücke mit verschiedenen Bewegungen.

 

1. Stück: Kreisende Bewegung über den Sitzhöckern

Hörbeispiel: E1 Phase 4.1

Zusammenfassung des Nachgespräches

VP 1 hatte eine kreisende Bewegung. Sie war inspiriert von meinen Staccati und hat versucht, ihren Kreis zu unterteilen. Das wollte aber nicht so ganz gelingen. Die Stimme hatte doch immer Verbindungen zwischen den Tönen (Glissandi). Sie erkennt eine starke Korrespondenz zwischen ihren Bewegungen und der Stimme.

Anmerkung

Um so eine kreisende Bewegung unterbrechen zu können, muss man sie anhalten können. Dies ist vergleichbar mit der Umkehrbarkeit. Wir probieren es beide, das Becken kreisen zu lassen und dabei eine Kette von Staccati mit der Bewegung zu gestalten. Umgekehrt, Staccati zu singen oder zu spielen und mit der Bewegung zu folgen,  erscheint uns leichter. Wir spüren eine ganz starke Verbindung zu den Zwerchfellstößen.

2. Stück: Drehbewegung des ganzen Rumpfes

Hörbeispiel: E1 Phase 4.2

Zusammenfassung des Nachgespräches

VP 1 freut sich und hat Spaß gehabt. Man ist wie ein Automat. Sie stellt fest, dass ihre Stimme sehr leicht auch in eine hohe Lage ging.

 

3. Stück: VP 1 macht eine senkrechte Bewegung (sie steht vom Stuhl auf und setzt sich wieder) und ich bewege den Rumpf horizontal.

Hörbeispiel: E1 Phase 4.3

Kommentar zur Musik und Zusammenfassung des Nachgespräches

Wir sind beide inspiriert von der Richtung unserer Bewegungen. Ansonsten ist es nicht so spektakulär.

Phase 5: Laborraum 2

V7 (sehr ungewohnte Position)

VP 1 liegt auf der Seite und hat den Kopf in die Hand gestützt. Ich liege auf dem Rücken mit dem Cello auf dem Bauch.

Hörbeispiel: E1 Phase 5

Anmerkung

VP 1 kommt im Anschluss noch einmal auf ihre Gewohnheit, anderen zu folgen, zu sprechen. Jetzt kritisiert sie es nicht mehr, sondern in dem Fall hatte es einen musikalischen Sinn. Die Melodie war deutlich emergiert und wurde aufgenommen. Also eine Handlungsweise, die aus dem Kontext gewählt worden ist und nicht in Ermangelung einer Alternative.

Aus dem Nachgespräch

VP 1 (Gelächter):

Das hat Spaß gemacht!! (…) Ok. Ich gebe zu, dass ich  jemand bin, der  – so bin ich auch als Mensch – ich überlasse sehr gerne anderen die Führung, und nehme sehr gerne von anderen etwas auf und passe mich auch ganz gerne mal an, (…) aber ich fand jetzt gerade bei diesem Kanon oder Kontrapunkt oder wie auch immer man sagen soll, dass wir plötzlich gegen Ende wieder das gleiche Motiv gefunden haben.

C. E.:

Wir hatten die ganze Zeit das gleiche.

VP 1:

Ja, aber dass wir auf einmal Unisono gesungen haben. Das fand ich jetzt irgendwie witzig.

C. E.:

Das ist eben Improvisation. Das ergibt sich dann einfach so und dann ist es eben da.

VP 1:

Das fand ich jetzt gerade sehr lustig. Das hat mir gefallen.

Phase 6: Laborraum 1

V 1 Käfer/Boot

1. Stück

Musikalische Aufgabe: Ostinato, das sich allmählich leicht verändert.

Hörbeispiel: E1 Phase 6.1

Aus dem Nachgespräch

VP 1:

Das ist sehr schwer

C. E.:

Was ist schwer?

VP 1:

Es ist mir fast nicht möglich durch das Nachdenken, was ich verändere, bei dem „Käfer“ zu bleiben. Und dann habe ich mich irgendwann entschieden: Ok. Versuch erst mal nur die drei Töne zu singen und den „Käfer“ wirklich gut laufen zu lassen. Das war schon schwer genug. (Gelächter) (…) das ist fürchterlich schwer. Ich mache das manchmal auch beim Üben, wenn ich bei einer Phrase im Nacken fest werde und dann denk ich: Wahnsinn, das ist unglaublich schwer.

C. E.:

Ich habe auch immer das Gefühl, dass die Nackenmuskeln wahnsinnig kontrollieren.

VP 1:

Ja, aber die sind auch verbunden mit dem Denken. Also im Hirn irgendwie.

C. E.:

Aber die Frage ist ja: Was können wir spielen, ohne dass das Hirn das so kontrolliert? Denn sobald das Hirn kontrolliert, ist es ja nicht mehr improvisiert.

VP 1:

Das ist ja hoch interessant. Ich meine, man sagt ja auch nicht umsonst, wenn man nachdenkt: Was starrst du so in die Ferne? Ja, wenn man nachdenkt … – das ist doch eigentlich komisch … wenn man nachdenkt, sollte man doch eigentlich im Körper möglichst frei sein, damit auch die Gedanken frei sind und nicht festgehalten.

 

2. Stück

Musikalische Aufgabe: nur drei Töne, die sich in Dynamik, Klangfarbe, Artikulation  und Rhythmus leicht verändern.

Hörbeispiel: E1 Phase 6.2

Aus dem Nachgespräch

VP 1:

Noch eine interessante Beobachtung: Ich merke an mir, wenn ich intensiv versuche zuzuhören, auch, …  – ne warte mal, das ist anders. Wenn ich zuhöre, ohne darüber nachzudenken, und einfach nur das Gehörte auf mich wirken lasse, ohne meinen Kopf dazu einzuschalten, dann ist ein freies Bewegen im Nacken möglich. Wenn es ein angestrengtes Zuhören ist, mit dem Grundgedanken darunter ‚Was macht sie da?‘, ist sofort eine Störung in der Bewegung. (…)
Kenne ich von mir auch. Das ist so dieser Panikmoment, wenn man merkt, irgendetwas stimmt nicht mehr. Orchester, Dirigent und ich, wir sind nicht mehr alle zusammen. Dann ist man auf einmal in so einer Starre wie das Kaninchen vor der Schlange und ist eigentlich nicht mehr frei. Wenn man ehrlich ist, bist du in dem Moment nicht mehr frei zu reagieren oder eine Lösung für das Problem zu finden. Ganz im Gegenteil: Wenn man plötzlich von einem Fehler überrascht wird, wenn man im Fluss ist und dann im Orchester etwas falsch läuft oder irgendetwas passiert oder so, dann kann man auf einmal ganz frei reagieren. Dann macht man was, wo man hinterher denkt: Wow, wie hast du denn das gerettet. Das ist aber eine andere Instanz, die das entscheidet. Das bin nicht ich mit dem Kopf. Das ist viel zu langsam. (…)
Das ist auch ein Bruch in der Aufmerksamkeit. Wenn das Bewusstsein sich einschaltet, (…) wird man aus diesem anderen Hören, dem anderen Hör- und Konzentrationsgefühl rausgerissen.

C. E.:

Das Analysieren.

VP 1:

Kenne ich von mir auch. Das ist so dieser Panikmoment, wenn man merkt, irgendetwas stimmt nicht mehr. Orchester, Dirigent und ich, wir sind nicht mehr alle zusammen. Dann ist man auf einmal in so einer Starre, wie das Kaninchen vor der Schlange, und ist eigentlich nicht mehr frei. Wenn man ehrlich ist, bist du in dem Moment nicht mehr frei zu reagieren. Oder eine Lösung zu finden für das Problem. Und ganz im Gegenteil, wenn man plötzlich von einem Fehler überrascht wird, wenn man im Fluss ist und dann gibt es einen Fehler im Orchester, das da irgendetwas passiert oder so, dann kann man auf einmal ganz frei reagieren. Dann macht man was, wo man hinterher denkt: Wow, wie hast du denn das gerettet. Da ist aber eine andere Instanz, die das entscheidet. Das bin nicht ich mit dem Kopf. Das ist viel zu langsam.

(…)

C. E.:

Das mit dem analytischen Hören war eben in dem Stück?

VP 1:

Ja, aber ich konnte das dann wieder abschalten. Aber das ist auch ein Bruch in der Aufmerksamkeit, wenn das Bewusstsein sich einschaltet, ist man eigentlich so – tja – aus diesem anderen Hören und Hör- und Konzentrationsgefühl wird man raus gerissen.

C. E.:

Interessant ist auch noch mal, dass es zu langsam ist. Denn, bis du analysiert hast, was ich da gerade mache, oder was wir zusammen machen, ist es schon vorbei. Es wiederholt sich ja nicht. Es ist ja permanent in Bewegung.

 

3. Stück

Aufgabe: musikalisch viele Gegensätze, während der imaginäre Käfer sehr langsam und gleichmäßig weiter krabbelt.

Hörbeispiel: E1 Phase 6.3

VP 1 unterbricht und äußert, das das sehr schwer ist und für sie im Moment nicht möglich.

 

4. Stück

Aufgabe: konzentration auf den imaginären Käfer und musikalisch keine besondere Aufgabe.

Hörbeispiel: E1 Phase 6.4

Nachgespräch

VP 1:

Mir ist das eben schon aufgefallen: Wir singen da ja gerade eine moderne Oper und du denkst dir, wie schwer ist das, einen Tritonus zu singen. Und wie klingt noch mal der Tritonus. Und vorhin ist mir so mühelos ein Tritonus nach dem anderen gelungen. Ohne, dass man darüber nachdenken muss, wie man das Intervall singt.

C. E.:

Du denkst ja auch gar nicht.

VP 1:

Nein, das entsteht dann plötzlich. Und man denkt: Hä, das ist doch so einfach. Aber wenn man das aufschreiben würde, und man müsste es so singen, dann wäre es unglaublich schwer.

Und das finde ich auch interessant, wie frei man auf einmal wird, z.B. dass ich eben gegen dich immer eine Sekundreibung gesungen habe. Das ist ja in Wirklichkeit etwas ganz Schweres. Bei sich zu bleiben, sich nicht der Harmonie an zu nähern und auf eine Gemeinsamkeit zu kommen. Das war auch der Linie abwärts war das viel schwieriger.

C. E.:

Das war ja schneller geworden und dann warst du schon eineinhalb Oktaven tiefer als ich. Ich habe mich langsamer runter bewegt. Ich habe dich aufwärts überholt in der Tonhöhe.

 

Phase 7: Freie Improvisationen

1. Stück

Titel: Die Fliege

Hörbeispiel: E1 Phase 7.1

2. Stück

Spiele drei Stücke: Geheimnisvoller Aufbruch – Im Hinterhalt lauern – Kampf und Niederlage.[1]

 

Hörbeispiel: E1 Phase 7.2.1

Hörbeispiel: E1 Phase 7.2.2

Hörbeispiel: E1 Phase 7.2.3

Aus dem Nachgespräch

(Bezieht sich auf das Stück „Im Hinterhalt lauern“)

VP 1:

Ich fühle mich ein wenig freier und ein wenig mutiger. Ich merke aber immer noch, dass ich gerne einen Impuls von dir aufnehme. Ich hänge mich gerne dran. Die Frage ist auch: Welche Aufgaben finde ich leichter. So etwas Poetisches oder eine intellektuelle Aufgabe.

C. E.:

Wie ist das?

VP 1:

Das kann ich gar nicht sagen. Hier kommt jetzt schon ein darstellerischer Moment dazu. Hier kam ein Parameter, der über die reine Tongebung hinaus geht, noch dazu. Das ist ja fast so ein darstellerischer Moment. Z.B. bei „Im Hinterhalt lauern“. Du hattest nur Geräusche und ich hatte nur Atem. Das finde ich für mich ungewöhnlich. Den Atem würde ich nie – obwohl das falsch ist – das weiß ich –  aber beim Atem würde ich nie darauf kommen, dass es ein Ausdrucksmittel ist. Das vergesse ich immer. Z.B. der Atem in einer Pause. In einem Lied oder so, dass der eigentlich ausschlaggebend für die Emotion in der nächsten Phrase ist, das ist immer etwas, was mir total verloren geht.

 

[1] Jarchow, Peter und Schlimp, Karen.2010. Impro-Mosaik. Basel: Nepomuk.