Experiment 2 Protokoll

Datum: 01.04.2012 Dauer des Experimentes: 1 Tag Zu den Personen: VP 2 Geschlecht: weiblich Alter: Erwachsen Instrument: Klarinette Vorerfahrung: Professionelle Musikerin mit langjähriger Improvisationserfahrung   VP 3 Geschlecht: männlich Alter: Erwachsen Instrument: Klavier Vorerfahrung: Professioneller Musiker mit langjähriger Improvisationserfahrung.

Allgemeine Anmerkungen

Das Experiment fand in privater Atmosphäre bei den beiden Versuchspersonen zu Hause statt. Es hatte durchweg den Charakter von kollegialem Austausch. Auf Grund der Vorerfahrung der Versuchspersonen und ihrem Interesse an meinem Forschungsprojekt fand häufig eine verallgemeinerndende Reflektion über die Erkenntnisse statt.   Die in den Hörbeispielen dokumentierten Improvisationen sprechen für sich. Auf Grund der Position des Aufnahmegerätes ist die Klarinette dynamisch ein wenig unterbelichtet. Dennoch ist das Zusammenspiel gut hörbar. Ausgangspunkt war die Frage nach der Herkunft der Impulse. Zu Beginn sind die Aussagen dazu allgemein gefasst und werden als Vermutungen formuliert (Phase 1). Nach dem mehrstündigen Experiment formulieren beide Versuchspersonen in Phase 8 sehr viel konkreter auf die Situation bezogen ihre Erlebnisse. Sie spüren eine Veränderung in der Risikobereitschaft und in der körperlichen Unterstützung ihrer Aktionen. Zu Beginn vermuteten sie vielmehr, dass die körperlichen Impulse eine Reaktion auf musikalische Impulse seien.

Protokoll

Phase 1 Phase 2 Phase 3 Phase 4 Phase5 Phase 6 Phase 7 Phase 8 

Phase 1: Mehrere freie Improvisationen

Fragestellung: Kommen Spielimpulse aus dem Körper oder aus der Musik selber?

Hörbeispiel: E2 Phase 1.1

Hörbeispiel: E2 Phase 1.2

Zusammenfassung des Nachgespräches nach dem zweiten Stück

VP 2 und ich waren im Klang sehr gemischt. Wir konnten teilweise nicht mehr auseinanderhalten, was wir selber gespielt haben und was der andere gespielt hat. VP 3 wundert sich, warum da keine Aktivität mehr gekommen ist. Wir haben beide bewusst die Entscheidung getroffen, dabei zu bleiben und nicht noch etwas hinzuzufügen. Für uns war es musikalisch schlüssig in der Begrenzung.

Allgemeines zur Kommunikation im Ensemble

Aus dem Nachgespräch

VP 2: Ich merke schon wieder… bei drei Spielern: Man hat schon genug zu tun zu registrieren, was ist da gerade. Das ist schon für sich so komplex. Ich schlage mich dann auch oft auf eine Seite, merke ich so.

Anschließend erkläre ich ein wenig genauer mein Thema und meine Forschungsfrage,  um die Aufmerksamkeit in den folgenden Stücken mehr auf die körperlichen Spielimpulse zu lenken. Dazu VP 2:

Ich merke das auch bei Schülern. Die sind dann im Klang voll da, während – wenn irgendwelche Stücke oder Übungen dazwischen stehen, sind sie eben beschäftigt mit anderen Sachen noch gedanklich und haben dann nicht ihre volle Aufmerksamkeit. Beim Improvisieren habe ich das Gefühl, sie sind mehr drin im Klang, oder das ist körperlicher. Der Körper schwingt mehr mit vielleicht auch so. Die Intonation ist auch besser.

Herkunft der Impulse

3. Stück

Aufgabe: Aufmerksamkeit auf das Wechselspiel zwischen körperlichen und musikalischen Impulsen lenken. Hörbeispiel: E2 Phase 1.3

Nachgespräch

VP 3:

Aber definitiv kommen da Impulse aus dem Körper.

VP 2:

Es ist beides. Sowohl als auch, denke ich. Also eine Bewegung, die das Spielen beeinflusst und umgekehrt, dass das, was man hört, wieder eine Bewegung verursacht. Oder auch, was man bei den anderen hört.

VP 3:

Also, es gibt viele Punkte. Das ist mir auch schon früher aufgefallen, zumindest bei bestimmten Sachen auf dem Klavier, wo ich wirklich irgendwie das Bedürfnis habe, irgendeine Bewegung auf dem Klavier zu machen. Wo ich mir jetzt gar keine konkreten Töne drunter vorstelle. Gut, ich habe eine Vorstellung, wie das so in etwa klingen soll, schon, aber, wo eigentlich ich diesen Schwung da machen will. (demonstriert eine schnelle Geste) das ist ein körperliches Bedürfnis, was ich dann eben umsetze.

VP 2:

Jetzt am Schluss habe ich auch so Bewegungen vor mir gesehen. So schlängelnde Kringel irgendwie. Und ich habe mich dann auch innerlich mitbewegt. Das war dann anders.

(…) VP 3:

Also da waren so Momente, wo ich ganz direkt das körperliche Bedürfnis hatte, mich rein zu legen.

VP 2:

Eigentlich ist es schon wie Tanz. Also eine Improvisation, wo man sich richtig wohl fühlt, wo man das Gefühl hat: So, jetzt ist es stimmig. Da fühle ich mich ähnlich, wie wenn ich tanze. Wenn ich improvisiert tanze. Da ergibt sich eins aus dem anderen. Auch so die Form und die Dauern und das Timing und so. Das regelt sich viel so über das Körpergefühl. Und das entlastet dadurch das Denken auch so. Man überlegt zwar: Was war das da so und mache ich das jetzt weiter und so, aber, so der Auslöser ist schon erst mal so über Hören und dann ins Körpergefühl gehen. Also man hört das und das macht etwas mit dem Körper und bringt eine Bewegung in Gang.

VP 3:

Genau, das habe ich mich auch gefragt: Wo kommt dieses Körperbedürfnis eigentlich her? Das kommt schon von der Musik.

VP 2:

Wenn ich mitgehen kann sozusagen mit dem, was ich höre, oder ich da irgendwie einen Bezug finde, mit dem Körper, dann ist es auch klar, mit welchem Ausdruck ich das spielen will. Dann muss ich das nicht vernunftmäßig überlegen – oh jetzt könnte mal ein Kontrast kommen, oder weiß ich was – sondern

VP 3: (unterbricht)

Ja auch so, wenn man da irgendetwas macht und man wartet auf einen Impuls, was anderes zu machen. Oder wenn man gerade nicht spielt oder man wartet auf einen Impuls einzusteigen (…) so einen Moment, wo man etwas verändert. Da muss ein Impuls irgendwie davor liegen. Man muss einen Grund haben. Und da ist vieles, glaube ich, auch ein körperlicher Impuls. Und zwar, dass man irgendetwas hört. Aber es ist irgendwie so eine körperliche Reaktion auf irgendetwas, was man hört. Also, das, was den Impuls auslöst, ist schon die Musik von den anderen oder keine Ahnung. Aber das, was passiert, löst irgendwie einen körperlichen Impuls aus.

VP 2:

Das geht sozusagen durch den Körper, dann wieder in das Instrument.

Umkehrung der Erwartung

VP 3:

Da hat man so eine Erwartungshaltung wie so ein Raubtier, was guckt, ob sich irgendwo was bewegt. Und wenn man einen Anlass hat, dann löst das was aus. Manchmal erwarte ich dann irgendwie was und es kommt aber der Anlass nicht und dann, dann habe ich die Erwartung, eine bestimmte Sache zu machen. Und dann merke ich manchmal so direkt: Oh nee.

C. E.:

So wie wenn die Katze da sitzt und die Maus kommt einfach nicht.

VP 2:

Ja, dann setzen wir uns mal vor ein anderes Mauseloch.

VP 3:

Das kenne ich auch und dann ist es direkt eine körperliche Umstellung irgendwie, sich dann auf etwas Anderes einzurichten. (…) Wenn ich warte, ohne zu wissen, worauf ich warte, ich stelle mir irgendetwas vor. Ich habe die Idee, so etwas zu machen, und dann setze ich mich so in Spannung und erwarte das dann irgendwie, und dann passt das aber nicht. Dann wird es nicht aufgelöst, und dann merke ich direkt, dass ich mich dann irgendwie entspanne und dann mich erst mal wieder neu orientieren muss. Dann ändere ich richtig meine Körperposition. (…)

C. E.:

Du meinst jetzt, wenn der Impuls nicht kommt.

VP 3:

Genau. Wenn ich warte, ohne zu wissen, worauf ich warte, ich stelle mir irgendetwas vor. Ich habe die Idee, so etwas zu machen und dann setze ich mich so in Spannung und erwarte das dann irgendwie und dann passt das aber nicht. Dann wird es nicht aufgelöst und dann merke ich direkt, dass ich mich dann irgendwie entspanne und dann mich erst mal wieder neu orientieren muss. Dann ändere ich richtig meine Körperposition.

(…)

Neutrale Durchlässigkeit

VP 2:

Damit das funktioniert, dass die Impulse so durch den Körper durchgehen, brauchst du natürlich so einen gewissen Grundzustand erst mal. Ja, so Durchlässigkeit.

VP 3:

Ja. Durchlässigkeit ist ganz gut.

VP 2:

So eine gewisse Wachheit, Offenheit und so einen Grad an Spannung und Entspannung, dass das funktioniert. Und mit diesen orthopädischen Sachen. Dadurch, dass das Stück ja offen ist, kann sich das dann von selber so regeln, dass man sich nicht schädigt irgendwie, oder ich weiß nicht. Na gut, es gibt natürlich so Stücke, wo du so dauermäßig, powermäßig dran willst, die einen dann schon ganz schön erschöpfen, aber ich glaube, man wechselt dann unbewusst auch so leicht mal die Haltung. Ich weiß nicht, das geht wahrscheinlich organischer, als wenn man jetzt im Orchester sitzt und das Gefühl hat: Äh, ich muss, ich muss, ich muss, ich darf nicht Luft holen, keine Ahnung. Also irgendwie hat man da doch noch mehr Möglichkeiten. Oder wenn man es der Körperintelligenz überlassen kann, dann regelt der Körper das vielleicht auf eine gesündere Weise,

C. E.:

Und du übst es nicht vorher. Du trainierst nicht die Anstrengung.

VP 2:

Ja, und man ist in einem anderen geistigen Zustand wenn die Anstrengung kommt. Es ist vielleicht eher so ein Lustgefühl, so: Wow, jetzt power ich mich aus und nicht dieses: Ich habe Angst, ob ich dieser Anstrengung gewachsen bin. Dass ich vorher schon denke: Oh Gott, ich muss das dann spielen und ich muss das durchhalten, ich muss die Kondition haben. Also muss ich mich, muss ich, muss ich, muss ich, auch wenn ich mehr kann, mache ich noch weiter, weiter, weiter, weil ich muss ja trainieren. Sondern dass man mehr in dem Moment, da geht das dann schon. Ja genau: dieses Vorausdenken und Vorausplanen und Sich-Fürchten vor was, das ist, glaube ich, auch ungesund und blockiert natürlich.

VP 3:

Wobei ich denke, dass es auch bei geplantem Spielen Möglichkeiten gibt, wie man sozusagen aus der Bewegung heraus mehr in der Sache drin steckt.

Zusammenfassung: VP 3 erzählt, dass er bei seinen Klavierlehrern an der Hochschule Unverständnis geerntet hat, wenn er nach einem Akkord die Hände nach oben genommen hat. VP 3:

Und dann kam öfter mal so ein Kommentar: Dann findest du doch den nächsten nicht so leicht. .. – Nö ich finde den schon… – Jedenfalls wurde ich gefragt, warum ich das mache, was das soll.

VP 2:

Ja, aber so einen Bewegung, mit der man einen Klang erzeugt, die setzt sich ja auch fort. Wenn ich die jetzt stoppe, …

VP 3:

Es ist einfach mehr eine Einheit.

C. E.:

Und beim Improvisieren würdest du ja nicht auf die Idee kommen, wenn du abspringen willst, es nicht zu tun.

VP 2:

Da gibt es keine Lehrer, die mit irgendwelchen zweckmäßigen Begründungen kommen. Dann findest du den nächsten Akkord nicht.

C. E.:

Dann sagst du: Ich weiß sowieso noch nicht, welchen Akkord ich als nächstes spiele.

VP 3:

Das ist natürlich beim Improvisieren viel einfacher, weil man da nicht irgendeinen Zweck haben könnte, das nicht zu tun.

VP 2:

Da stehen diese künstlichen Dinge nicht so leicht dazwischen. Das muss man dann nicht erst aus dem Weg räumen.

 Phase 2: Laborraum 3

V10 (Dirigent)

 

1. Stück

VP 2 wählt eine große Bewegung des ganzen Rumpfes nach hinten und vorne. (Anmerkung: Eigentlich entspricht dies der Versuchsanweisung V 11) VP 3 lässt seinen Kopf führen. Ich wähle das rechte Bein als Dirigent. Hörbeispiel: E2 Phase 2.1

Aus dem Nachgespräch

VP 2:

Eben, als wir das gemacht haben, hatte ich so eine Vorstellung, wie sich das wahrscheinlich anfühlen würde, wenn ich mich so nach hinten lehne beim Spielen. Und jetzt, so kurz vorm Ende, hatten wir so einen gemeinsamen Klang, da war das dann richtig so. Es war vorher schon so ein bisschen so, aber da noch stärker. Irgendwie war da die Atmung in der Lage anders auch. Irgendwie alles sehr weit so. Und das war genau der Klang, den ich mir da so ungefähr vorgestellt habe.

C. E.:

Was hast du genau für eine Bewegung gemacht?

VP 2:

Ich habe mich nach hinten gelehnt. Eigentlich so mit dem ganzen Oberkörper. Auf jeden Fall, nach vorne war es enger. Da war die ganze Atmung enger. Das hatte ich auch schon so erwartet, dass das eher so ein flacher Ton wird. Und nach hinten hatte ich so ein Gefühl von Weite. Ich habe jetzt vor allem mit dem Vor und Zurück, ein bisschen zur Seite gespielt. Da geht sicher noch mehr, aber ich habe mich jetzt auf diese Dimensionen beschränkt.

Kommentar zur Musik

Die Phrasenbildung der Klarinettistin entspricht den großen Bewegungen des ganzen Rumpfes.

Aus dem Nachgespräch

VP 3:

Ich habe es aus dem Kopf heraus versucht. Den Kopf so hängen lassen. Den Kopf als Gewicht.

VP 2:

Ah ja, der zieht dann den ganzen Rest so runter.

VP 3:

Ich habe dann gemerkt: Oh, jetzt konzentriere ich mich bloß noch auf den Kopf. Ich höre gar nicht mehr richtig zu. Ich weiß nicht, ob man das bemerkt hat.

C. E.:

Das ist normal. Aber die Phasen, wenn ich geschafft habe, hin zuhören, dann hatte ich das Gefühl, dass das ein sehr gutes Stück ist.

VP 3:

Ich fand das schon ganz interessant, dass der Kopf mich dann in eine Richtung gezogen hat. Aber was ich gedacht habe – und das habe ich auch vorhin schon gedacht – was ich mir nicht so bewegungsgesteuert vorstellen kann, ist, im Innenraum zu spielen. Weil das einfach doch nicht so vertraut ist, wie das Spiel auf den Tasten. Das geht so völlig aus der Intuition heraus, während ich hier zumindest erst mal die Aktion planen muss und in einer nicht so schönen Haltung sitze und mich da so reinstrecken muss (…) Jedenfalls hat das dann auch ganz gut funktioniert in Reaktion auf euch. Ich habe mich dann konzentriert, was will der Kopf so? Und dann später habe ich das Gefühl gehabt, er kann jetzt auch Impulse von euch mit einbeziehen.

Anmerkung

Für einen Pianisten, der nicht täglich im Innenraum spielt, ist die Spieltechnik und die Spielbewegungen im Innenraum so weit von seinen erlernten Spielbewegungen entfernt, dass es sich der Vergleichbarkeit entzieht.

2.Stück

V9 (Motor mit einem schwerer zugänglichen Körperteil)

VP 2wählt einen Muskel unter dem linken Auge und VP 3 sein rechtes Ohr. Hörbeispiel: E2 Phase 2.2

Aus dem Nachgespräch

VP 2:

Am Ende war es interessant. Ich hatte so einen Muskel unter dem linken Auge. Ich glaube, wenn man zwinkert, dann nutzt man den, glaube ich. Der zieht auch die Lippe hoch. Das hat natürlich auch das Spielen ein bisschen beeinflusst. Da war der Klang so ein wenig – am Anfang hatte ich bloß so die Idee, eben mal so zu zucken als Bewegung und dann gegen Ende habe ich dann eigentlich das ganze Gesicht verzerrt und dann auch mal so unterschiedlich gespannt und entspannt und da wurde es dann interessant, hatte ich das Gefühl. Da war wirklich so ein Klang, der sich daraus ergab. Ein ganz anderer Klang so, als ich es erwartet hatte. Da war es dann auch irgendwie organischer so aus dem Ganzen heraus. Vorher war es so ein bisschen so: Ok, ich mache jetzt was, ein bisschen technisch irgendwie.

VP 3:

Ich fand das auch sehr interessant. Fand ich erst gar nicht so einfach. Ich habe das rechte Ohr genommen. Ich kann auch tatsächlich das rechte Ohr unabhängig vom linken bewegen. Das Linke kann ich nur mit dem Rechten zusammen. Und nach einer Weile war ich ein bisschen frustriert, weil ich dachte, so jetzt müsste ich mal den Motor wechseln. Aber nee, das geht ja nicht. Der muss ja da bleiben. Später wurde mir dann auch klar warum. Ich habe nämlich nur mit Rechts gespielt. Das rechte Ohr hat von vorne herein die rechte Hand aktiviert. Aber die Linke eben nicht. Das wurde mir im Nachhinein klar, dass ich das unbefriedigend fand. Das habe ich dann irgendwann akzeptiert und dann hatte es auch was.

C. E.:

Hast du dann auch links gespielt?

VP 3:

Ne, ich habe nur mit Rechts gespielt. Ich hatte das Bedürfnis, auch mal was anderes zu machen. Ging aber nicht.

VP 2:

Was ich total spannend finde, ist der Zusammenhang zwischen Mund – also Unterkiefer – und Spielen. Gerade beim Blasinstrument. Dass ich auch gerne mal nutze, dass ich den Unterkiefer bewege und dann eine andere Farbe kriege dadurch. Und dann so allmählich wechsele oder auch so ruckige, rhythmische Bewegungen mache, das ist so ein Ding, das habe ich so vor eins, zwei, drei Jahren mal entdeckt. Dass das wirklich eine körperliche Bewegung ist, die ich ganz gezielt einsetzen kann. Und klanglich dann…

C. E.:

Das ist interessant, weil du ja durch den Kontakt zum Blatt da ein bisschen eingeschränkt bist.

Phase 3: Laborraum 1

V 2 (Zungenbewegung)

Inspiriert von der Bemerkung von VP 2, dass sie mit den Gesichtsmuskeln die Spannung in ihrem Kiefer modifiziert, schlage ich das Experiment V2 (Zungenbewegung) vor. VP 2 entscheidet sich für eine Greifbewegung mit dem Fuß. Hörbeispiel: E2 Phase 3

Aus dem Nachgespräch

VP 3:

Also, ich fand das ganz schön schwer. Ich war auch sofort, wenn ich so einen kleinen Impuls gemacht habe, war ich raus aus der Bewegung. Aber es war auch interessant. Ich war auch mal raus aus der Bewegung, als ich mich nur konzentriert habe auf euch. Als ich nur zugehört habe und nicht gespielt habe. Also das hat ziemliche Konzentration erfordert.

C. E.:

Was ich interessant finde, ist: was ist das für eine Konzentration? Ist es, sobald man bewusst überlegt? Was machen die da? Oder: Was will ich jetzt spielen? Das es dann so kompliziert wird? Also, was ist da so kompliziert?

VP 2:

Ich habe das ja jetzt mit dem Fuß gemacht. Ich fand das jetzt nicht so kompliziert. Ich hatte das Gefühl, das bringt mich jetzt insgesamt in eine so etwas entspannte Stimmung. Wie so eine unwillkürliche Bewegung, die man manchmal so nebenbei macht. Das bewirkt vielleicht auch eine bestimmte Art von Spielen, vielleicht. Da war so eine Stelle, da wollte ich anhalten. Dann habe ich mir bewusst gesagt, weiter. Dann hat es aber auch mein Spielen beeinflusst. Ich habe so mehr vor mich hin geplätschert.

VP 3:

Ich möchte noch was sagen. Ich fand es zwar manchmal schwer mit der Zunge. Aber dadurch, dass ihr ja auch gespielt habt, hatte ich manchmal das Gefühl, dass es mich spielt. Also ich habe irgendetwas gemacht, ohne dass ich überhaupt darüber nachgedacht habe, was ich da überhaupt mache. Das war zum Teil völlig unbewusst. Dann dachte ich, dann hört die Zunge bestimmt auf. Aber das passierte dann einfach doch.

VP 2:

Also die Zunge, die zwingt dich also, ohne viel Plan so aus dem Unterbewussten zu spielen?

VP 3:

Ja, ich habe völlig aus der Intuition gespielt, jedenfalls so zeitweise. Einfach das, was sozusagen kommen musste.

Kommentar zur Musik

Die Improvisation hat einen ruhigen, fließenden Charakter. Das Zusammenspiel zeichnet sich durch organische Weiterführungen von Figuren, vor allem in der Agogik,  aus.

Phase 4: Laborraum 1

V1 (Käfer/Boot)

Musikalische Aufgabe: Minimale Veränderungen eines Ostinato. Hörbeispiel: E2 Phase 4

Nachgespräch

VP 2:

Also, wenn die Veränderungen kleiner sind, glaube ich, ist es kein Problem.

VP 3:

Also, später habe ich ein bisschen mehr geändert…

VP 2:

Sagen wir mal so: Wenn das Material geändert wird und der Gestus bleibt ungefähr ähnlich, dann ist es, glaube ich, nicht schwierig. Aber in dem Moment, wo man eine ganz andere Spannung plötzlich machen würde…

VP 3:

Also, wo ich wirklich Töne dazu genommen habe, da die Lücke ausgefüllt habe.

VP 2:

Das fand ich nicht schwierig. Töne dazu und Rhythmus ändern und Artikulation ändern, das war nicht schwierig. Also, weil der Charakter so ungefähr ähnlich war. Am Ende, ok. – Aber es war jetzt nicht so eine krasse Änderung. Dadurch fand ich es nicht schwer jetzt.

VP 3:

Anfangs dachte ich auch: Das ist ja gar kein Problem. Das hatte ich gar nicht erwartet, aber dann doch … h h … Am  Schluss, wo ich mich dann so auf euch konzentriert habe, da  war der Käfer stehen geblieben. Das war also, ohne eine Bewegung zu machen, alleine die Konzentration.

Kommentar zur Musik

Zu Beginn ist die Improvisation im Zusammenspiel heterogen. Alle drei Spieler beschäftigen sich individuell mit der Aufgabenstellung. Im Verlauf des Stückes ordnet es sich. Der Charakter ist meditativ. Alle drei Spieler beschäftigen sich mit der Veränderung der Artikulation. Das Stück beginnt im Legato und endet im gemeinsamen Staccato.

Phase 5: Eingeschobene freie Improvisationen

Nach einer Pause schieben wir zunächst ein freies Stück ein. Nach dem Stück entsteht ein Dialog über die offenbar sehr unterschiedliche Wahrnehmung . Hörbeispiel: E2 Phase 5.1

Nachgespräch

VP 2:

Ich habe gewartet, dass du jetzt da drüber was spielst. Und dann dachte ich: Ok. (seufzt) Was mache ich jetzt? Was ist jetzt meine Funktion? Da hatte ich keine klare Empfindung.

C. E.:

Da ist die Frage: Hintergrund oder Vordergrund?

VP 2:

Ja, oder spiele ich jetzt überhaupt. Oder hat das jetzt einen Sinn, dass ich spiele? Und dann dachte ich irgendwie: Ach es wäre schön, wenn du jetzt noch etwas machen würdest. Das kam dann aber nicht. Und dann dachte ich ok. (resigniert) Dann dachte ich: Spiele ich jetzt was?

C. E.:

Ich hatte ja nur den einen Ton, aber das, was du gespielt hast, war so ein dichtes Gestrick.

VP 3:

Ich hatte es so empfunden, als ich mich dann rausgezogen hatte, ich hatte so ein paar lange Töne gespielt, dann war ich wieder draußen. Und dann dachte ich: Ah, jetzt entwickelt sich das so. Jetzt wirst du zum Vordergrund. Ich habe mich jetzt rausgezogen. Und jetzt wird aus dieser quasi Untergrundfläche dann eine Melodie.

VP 2:

Ich hatte auch angefangen (…) dann mache ich jetzt den Vordergrund.

VP 3:

Ich habe mich dann gefragt, ob ich wieder einsteige, aber(…) hm. Hm- hm.

VP 2:

Aber irgendwie hatte ich dann noch was angefangen, aber es war nur so halbherzig. Irgendwie kam ich mir da blöd vor (lacht) nee, das passt jetzt auch nicht. Das ist ein bisschen so: Ich könnte jetzt eigentlich mal was machen im Kopf, aber vorher war es so organisch so und plötzlich war ich so raus und stand so außen und habe geguckt. Ja, – das, das, das – so voll raus aus der Musik in dem Moment.

C. E. und VP 3:

Aber es war ein schönes Stück!

VP 2:

Davor der Teil schon. Aber es ist so schön, wenn sich so was ergibt und dann bleibt man da so dran. So Stück für Stück, wo geht das hin? Wo geht das hin? Ah – A ja? – (lacht)

2. Stück

Hörbeispiel: E2 Phase 5.2

 

Phase 6: Laborraum 1

V1 (Käfer/Boot)

1.Stück

Musikalische Aufgabe: Start mit einem Ostinato, der immer mehr in Gegensätze übergehen soll. Hörbeispiel: E2 Phase 6.1

Nachgespräch

VP 2:

So richtig starke, dichte Wechsel habe ich nicht gemacht. Es ist so die Sache: Ostinato einerseits und Wechsel, das sind so viele Möglichkeiten schon. So: Wie stark fühle ich mich dem Ostinato noch verpflichtet und wann gehe ich weg? Da hat man gleich einen Riesenraum.

VP 3:

Ich fand das sehr anregend, was du alles mit dem Ostinato gemacht hast. Und dann bin ich im Prinzip die ganze Zeit bei den Tönen geblieben. Da gibt es schon viel.

C. E.:

Ich übe so etwas auch sehr viel. Ich finde es interessant, wenn ich so ein kleines Motiv habe, was ich damit machen kann. Es ist ja immer leicht, ein Motiv zu wechseln. Das kann jeder. Aber dran zu bleiben und wirklich alle Möglichkeiten zu finden, so was übe ich ganz viel.

VP 3:

Ja, ich denke auch manchmal, dass man das viel mehr üben müsste. Aber dann so alleine… Man muss sich ja überlegen: Was muss man da üben? Es ist ja nicht das Instrument. Das kann man vielleicht anders besser üben.

VP 2:

Ja, es ist ja manchmal, dass ich plötzlich denke: das möchte ich jetzt spielen und dann ist das technisch schwierig, da so dran zu bleiben oder man ist vom Denken nicht so flexibel – zu sehr in irgendeiner Sache verhaftet – Ja klar, das kann man natürlich trainieren. Aber mit der Bewegung jetzt. Also gegen Ende war ich da nicht mehr bereit, das weiter zu machen. Da habe ich dann einfach so – nee! Eine ganze Weile ging das so und irgendwann dachte ich dann: Nee, das lenkt mich ab. Jetzt brauche ich meine Aufmerksamkeit fürs Spielen. Oder jetzt gibt es Einbuße beim Spielen, wenn ich mich auf die Bewegung konzentriere.

Anmerkung

Die Frage stellt sich an dieser Stelle, ob der Käfer ein Test ist oder ob er eine künstlerische Anregung wird. Da VP 2 den Kopf gedreht hat, macht sie die ganze Zeit eine sehr große Bewegung mit der Klarinette. Dies ist für sie eine künstlerische Anregung. Die Spielbewegungen sind nicht komplett von der Bewegung getrennt.

Fortsetzung des Nachgespräches

VP 2: (noch zu vorher)

Bei mir war es nicht die Frage, ob ich frei bin, sondern vom Ausdruck passt es nicht. Wenn ich spiele, dann ist das ja doch irgendwie so wie ein Tanz mit dem Körper. Und …

VP 3:

So ging es mir auch. Ich habe gemerkt, dass ich, – so wenn ich so einen Impuls (demonstriert kleinen Akzent), dann gibt es so ein Zucken. Eigentlich lief das relativ glatt. Gegen Ende merkte ich dann doch, dass ich mich mal so vorgebeugt habe.

(…) VP 2:

Ich hatte so das Gefühl, dass die Bewegung so wie eine Achse ist, die sich so durch das Stück zieht. So es geht weiter, es geht weiter. Dann gab es so einen Punkt, wo ich so das Gefühl hatte wie so eine Generalpause, so außerhalb der Zeit, so wo die Zeit irgendwie stehen bleibt, und da wollte ich dann auch stehen bleiben. Da hat das dann einen anderen Charakter, wenn ich dann mit meiner Bewegung auch aufhöre.

 

2. Stück

Aufgabe: freie Improvisation. Käfer als Test. Hörbeispiel: E2 Phase 6.2

Nachgespräch

C. E.: (zu VP 3)

Danke, das du mich da raus gerettet hast.

VP 3:

Ich habe mich das auch gefragt: Wo führt das jetzt in? Das braucht noch etwas. (Gelächter) Irgendwann dachte ich: Ich habe Lust jetzt einen Ton zu spielen. Aber dann musste ich überlegen in welcher Oktave.

Das war ja irgendwie interessant. Ich wollte das mit dem Käfer immer mal wieder ausprobieren. Aber dadurch, dass ich so viel im Innenraum zu tun hatte, ging das gar nicht. (…) dass das so gemütlich enden würde, hätte ich nie gedacht. C. E.: (zu VP 2)

Wie ging das bei dir mit dem Kopfdrehen?

VP 2:

Ich hätte mich noch mal bewusst entspannen müssen. Ich war in so einer bestimmten Haltung drin. So ein wenig eingerastet. Ich musste mich dann erst wecken und so, guck mal: Du kannst auch…

3. Stück

Aufgabe: Freie Improvisation. Käfer als Test. (VP 2 macht diesen Test nur mit den Augen.) Wir spielen das Stück zu Zweit. Hörbeispiel: E2 Phase 6.3

Nachgespräch

VP 2:

Mit den Augen das ist eine ganz schöne Variante. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass es etwas in Gang bringt – oder ins Fließen bringt. Dass man da, ohne so eine ganz andere Komponente reinzubringen, die Sache so in Fluss bringen kann. So geschmeidiger machen kann. Und es ist eben eine Komponente, die nicht schon so besetzt ist. Das war eigentlich eine schöne Vorstellung. Man könnte sie bewegen. Fast so ein bisschen wie Atmen.

Wenn man jetzt nicht bläst und nicht spielt und in irgendeiner Situation, wo man sich so ein wenig fest macht und dann, dass man da so ein Entspannungsgefühl hat.

Phase 7: Laborraum 2

V3 (Instabile Position)

VP 2 steht auf einem Bein und VP 3 und C. E. sitzen jeweils mit einer Backe des Gesäßes auf dem Stuhl

Gespräch im Vorfeld:

VP 2:

Z. B. auf einem Bein stehen. Das habe ich eine Zeit lang beim Üben total gerne gemacht. Ja, da ist man ja nicht stabil oder so, aber ich fand das viel leichter, auf einem Bein zu stehen und das andere Bein zu schwingen und dabei irgendwelche schnellen Staccatostellen zu spielen, weil ich dann – ich glaube, ich bin da nicht so leicht fest geworden. Ich habe oft sonst so immer im Hals blockiert, wenn ich Staccato Stellen spielen wollte, wenn ich Schiss hatte, ich bin nicht schnell genug usw. Und dann natürlich durch die Festigkeit in der Tat nicht ins Tempo kam. Und das Auf-einem-Bein-Stehen hat es irgendwie gelockert, und wahrscheinlich war da auch das Zwerchfell irgendwie lockerer und der Atem ging tiefer oder so. Jedenfalls das war echt mein Geheimtipp.

Hörbeispiel: E2 Phase 7.1

Nachgespräch

VP 2:

Für mich war noch die Frage: Stütze ich mich ab mit dem zweiten Bein oder habe ich das zweite Bein wirklich in der Luft und überlasse mich dem – oh, ich falle gleich um. Am Anfang hatte ich das Bein ganz in der Luft und hatte auch teilweise das Gefühl, dass ich gleich umfalle und fand das auch anregend. Dann habe ich den zweiten Fuß doch leicht aufgestellt und das bisschen Stabilität war so: – Oh ich bin da (mit ganz tiefer Stimme). Also, das hat doch einen großen Einfluss. Das war so unkompliziert. Manchmal sonst, wenn man anfängt, man sitzt so und also ok. Jetzt machst du immer das gleiche und dann wertet man so … ah,der Kontrast war ja nicht richtig … und eigentlich könntest du viel mehr  (singt in sich hinein.) Und jetzt, in dem Moment, das war jetzt wirklich so: wow in dem Moment so. Ich bin da und genau.

C. E.:

Wenn du so auf einem Bein stehst, bist du sofort bereit, loszurennen.

VP 2:

Genau, du bist zu allem bereit. Du kannst in jede Richtung eigentlich.

C. E.:

Und bei uns – mit der einen Pobacke auf dem Stuhl – sind wir auch nicht so festgestellt da.

VP 2:

Und man ist im Denken dann auch nicht so festgestellt.

Kommentar zur Musik

Das Stück ist sehr energetisch. Auffallend sind die plötzlichen Ausbrüche.

V7 (sehr ungewohnte Position)

VP 2 und CE spielen im Liegen und VP 3 liegt über dem Klavierhocker. Die folgende Improvisation ist in einer sehr viel stärker ungewohnten Position, die uns in der normalen Spieltechnik beeinträchtigt. Wir stellen anschließend fest, dass dies zwar Spaß macht, aber künstlerisch eher zu Klamauk führt. Hörbeispiel: E2 Phase 7.2

 

Phase 8: Freie Improvisation im Vergleich mit dem Anfang

Hörbeispiel: E2 Phase 8

Aus dem Nachgespräch

VP 2:

Ich habe gemerkt, dass ich große Bewegungen mit dem ganzen Oberkörper gemacht habe. Nicht so das übliche Kreisen. Manchmal ganz große Bewegungen und dann wieder war ich – zack – ganz statisch. Nein, nicht statisch, sondern ruhig. Das war gezielt aber nicht wirklich geplant.

C. E.:

Hat dich die Musik beeinflusst oder anders herum?

VP 2:

Die Musik hat sich in eine Richtung entwickelt und dann hatte ich das Gefühl, dass ich den Klang, den ich möchte dadurch noch besser umsetzen konnte. An der Stelle, wo ich dann still war, ich kann mich dann noch mehr auf den Moment konzentrieren, auf die Ruhe. Das ist ganz anders jetzt. Oder ich habe mir durch das Nach-vorne-Gehen noch mal so einen Kick geholt für einen bestimmten Impuls oder so.

VP 3:

Ich habe gemerkt, dass ich mir einige Akkorde so richtig aus dem ganzen Körper geholt habe. So richtig ganz rein in die Tasten. Und das Gefühl, nach rechts zu schwingen von der einen Pobacke. Zum einen gibt das die Energie und zum anderen macht das auch Mut.

VP 2:

Eigentlich  hast du die Sicherheit dann ganz aufgegeben und bist voll ins Risiko gegangen. Das Risiko umzukippen.